Berlin/Brüssel. .
Seit 34 Jahren sitzt Elmar Brok im Europa-Parlament. Der CDU-Mann aus Ostwestfalen ist gut vernetzt, erfahren, auch trickreich. Brok weiß, wann er sich bedeckt halten, wann er sich ins Offene wagen soll. Es ist so weit. Im Machtkampf um den nächsten EU-Kommissionspräsidenten machen Brok und seine Kollegen jetzt Druck auf die Bundeskanzlerin.
Aus der Europawahl ging die Europäische Volkspartei (EVP), ein Zusammenschluss konservativer und christdemokratischer Parteien im EU-Parlament, als stärkste Fraktion hervor. Dass ihr Spitzenmann, der Luxemburger Jean-Claude Juncker, nächster EU-Kommissionspräsident sein sollte, ist deshalb für Brok klar. Er legt sich fest: „Das Parlament wird keinen anderen wählen.“
Seine Parteichefin Angela Merkel ist da vorsichtiger. Die Kanzlerin irritierte gerade Freund und Feind, weil sie sich soeben bei Gipfeltreffen der Regierungschefs in Brüssel nur halbherzig für Juncker aussprach. Der Unmut holt sie in Berlin ein. Merkel weiß das und verliert keine Zeit. Bereits am Mittwoch soll sie im Bundestag eine Regierungserklärung abgeben.
Dann wird sie klarmachen, dass Junckers Wahl keine Formsache ist. Es ist nicht ausgemacht, dass die Regierungschefs ihn vorschlagen werden. Vielleicht präsentieren sie noch einen „Schattenmann“. Es sind die eigenen Leute, die Juncker „im Regen stehen lassen“, weiß der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff. Ungarn, Italiener, Schweden. Auch David Cameron. Der britische Premier gehört zwar nicht zur EVP; seine Tories sind ausgetreten.
Neben den Mehrheitsverhältnissen und der Rechtsfrage gibt es für CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich die „politische Bindung“. Zum einen hat die EVP Juncker auf den Schild gehoben. Zumindest wurde der Wahlkampf als Rennen zwischen Juncker und Martin Schulz von der SPD inszeniert. Das ist zwar eine „deutsche Wahrnehmung“, wie Friedrich schimpft. Aber der CSU-Mann weiß auch, dass sich daraus „eine gewisse Erwartungshaltung zugunsten von Juncker“ ergeben hat. So ist zumindest der Eindruck.
Will Merkel Juncker zermürben?
Das sei „mehr als ein Eindruck“, wirft der Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer (SPD) aus Bochum ein. „Das ist eine Zusage. Wenn weder der eine noch der andere zum Zuge käme, könnten wir uns die Europawahl 2019 sparen“, fügte er hinzu. Solche Meinungen hört man aus allen Lagern, besonders rigoros im Straßburger Parlament. Der CDU-Europa-Abgeordnete Peter Liese verlangt, dass der Rat „mit Mehrheit entscheidet“. Das wäre das Ende der Konsens-Tradition. Liese zielt offen gegen die britischen Konservativen. „Für einen Kandidaten von Camerons Gnaden gibt es überhaupt keine Mehrheit“, sagt Liese. Er rät, dem Briten anders entgegenzukommen: „Was hat er für inhaltliche Anliegen?“
„Frau Merkel taktiert immer“, weiß Sozialdemokrat Schäfer. Die Frage ist, warum die Kanzlerin sich so zurückhält. Wenn der Rat der Staats- und Regierungschef ein paar Wochen brauche, sei das in Ordnung, so Lambsdorff. Erst Mitte Juli müsse der Kommissionschef bestätigt werden. Spielt Merkel auf Zeit, um einen Deal zu machen und Junckers Gegner einzubinden? Oder will sie ihn zermürben?
„Das hält der aus“, glaubt Lambsdorff. Der Luxemburger Ex-Premier ist ein alter Hase. Aber wahr ist auch, dass seit langem Alternativen erörtert werden. Drei Namen fallen immer wieder: der polnische Regierungschef Donald Tusk, die Französin an der Spitze des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, und Irlands Premierminister Enda Kenny.
Würde der Kommissionspräsident im Hinterzimmer ausgekungelt, „wäre dies eine Bestätigung der Vorurteile gegen Europa“, warnt der Grünen-Europa-Abgeordnete Sven Giegold aus Düsseldorf. Wer auch immer Juncker in der EVP aussticht, der könnte sich seiner Wahl nicht sicher sein. Er bräuchte die Stimmen der Liberalen, der Sozialisten. Nach der „Logik des Verfahrens“ wäre für Sozialdemokraten ein anderer dran, so Schäfer: „Natürlich Martin Schulz“, Junckers unterlegener Wahlgegner von der SPD.