Essen/Düsseldorf.. Bürgernähe und Respekt für den politischen Gegner sind wichtige Eigenschaften moderner Rathauschefs. Frank Baranowski (SPD, Gelsenkirchen) und Bernd Tischler (SPD, Bottrop) haben diese Qualitäten, und der Wähler hat sie dafür belohnt. Der Patriarch ist ein Auslaufmodell.

„Die Kommunalwahl zeigt es: Bodenständige Politikertypen wie Angela Merkel werden auch in den Städten immer beliebter: Kandi­da­ten, die sich selbst nicht wichtiger nehmen als ihre Arbeit, die Menschen zusammenbringen und Streit vermeiden. Das ist nach Einschätzung von Experten das Erfolgsrezept der souverän wiedergewählten Oberbürgermeister Frank Baranowski (Gelsenkirchen, SPD), Bernd Tischler (Bottrop, SPD) oder Thomas Hunsteger-Petermann (Hamm, CDU). Baranowski schaffte sogar fast 70 Prozent – ein Coup in einer mit Problemen beladenen Stadt.

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte (Uni Duisburg-Essen) nennt sie „effiziente Führungs­ty­pen“. Sie arbeiten Probleme ab, „ohne sich selbst ins Zentrum zu ­rücken“, sagt Korte über die Sieger. Der klassische Kümmerer kommt im Ruhrgebiet gut an. Streithähne und Selbstdarsteller sind verpönt.

Der wiedergewählte Gelsenkirchener Bürgermeister Frank Baranowski. Er gilt als exzellenter Moderator und Brückenbauer.
Der wiedergewählte Gelsenkirchener Bürgermeister Frank Baranowski. Er gilt als exzellenter Moderator und Brückenbauer. © Jo Kleine-Büning | Unbekannt

Die persönlichen Qualitäten von Politikern sind heute noch wichtiger als früher, erklärt Wahlkampfberater Achim Moeller. „Die Glaubwürdigkeit von Parteien sinkt, dafür wird Politik immer persönlicher“, sagte Moeller dieser Redaktion. Die Bürger fühlen sich anscheinend durch Baranowski, Tischler & Co. gut repräsentiert.

Stichwahl – ausgerechnet in der „Herzkammer“ der SPD

Gegen das tolle Wahlergebnis des Gelsenkircheners nimmt sich die Stimmausbeute von Ullrich Sierau (Dortmund, SPD) mit 43,7 Prozent bescheiden aus. Zwar konnte der Oberbürgermeister fast genau sein Ergebnis von 2010 einfahren. Allerdings: Noch nie seit Einführung der Direktwahl vor 15 Jahren hat ein SPD-Oberbürgermeisterkandidat in Dortmund so wenig Wählerstimmen auf sich vereinen können. Sierau muss in die Stichwahl – ausgerechnet in der „Herzkammer“ der SPD. „Die Zeiten, in denen dort sogar ein roter Besenstiel gewählt worden ­wäre, sind vorbei“, urteilt Achim Moeller. Es gebe immer mehr ­Wechselwähler. Offenbar hat die Dortmunder SPD den politischen Gegner unterschätzt. Außerdem ist Sierau auch als Rathaus-Chef umstritten. Er gilt als aufbrausend.

In Düsseldorf hat CDU-OB Dirk Elbers im Wahlkampf kaum einen Fettnapf ausgelassen. Dass er im Ruhrgebiet „nicht tot überm Zaun“ hängen möchte, hat ihm wohl in der eigenen Stadt geschadet. Moeller: „Die Leute mögen es nicht, wenn ei­ner die Grenzen des Anstands überschreitet.“ Sprücheklopfer sind offenbar nicht gern gesehen. Elbers muss in die Stichwahl.

„Die meisten Wähler mögen keinen Streit, keine Konflikte“, weiß der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Dieses Harmoniebedürfnis hat Auswirkungen auf die Stimmabgabe. Gewählt wird, wer Streit schlichtet. Wer nahe zu den Bürgern rückt und darauf verzichtet, Konkurrenten bloßzustellen. Das ist das Erfolgsrezept von Frank Baranowski (SPD), der in Gelsenkirchen 67,4 Prozent einfuhr und Bernd Tischler (Bottrop, SPD, 66,1 Prozent). Beiden eilt der Ruf voraus, „volksnah“ zu sein. Baranowski gilt darüber hinaus als exzellenter Moderator und Brückenbauer. Sein ewiger Konkurrent und Amtsvorgänger von der Union, CDU-Ruhr-Chef Oliver Wittke, ist hingegen als scharfzüngiger Politiker bekannt, der keine Auseinandersetzung scheut. Ein Anti-Baranowski sozusagen.

Der Bürgermeister von heute agiert wie ein Präsident

In den immer bunteren Stadtparlamenten haben kompromisslose Hardliner kaum Chancen. „Präsidentenhaft“ müsse ein Bürgermeister agieren, findet Korte. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich Sozialdemokraten im Revier auf eigenen Mehrheiten ausruhen konnten.

Neben den diplomatischen Fähigkeiten eines Bürgermeister- Kandidaten macht die Wähler noch etwas an: Jugend. „Junge, frische Kandidaten machen neugierig. Man weiß nicht alles über sie, sie sind das Gegenteil von Establishment“, erklärt Korte. So konnte in Dormagen der erst 27-jährige Erik Lierenfeld (SPD) auf Anhieb das Rathaus erobern. Der Zauber der Jugend verfliegt aber nach Einschätzung von Korte mitunter schnell. Beispiel: die Jungmännerpartei FDP. Korte: „Irgendwann stellen die Leute fest, dass Jugend nicht immer besser ist.“

Düsseldorfs OB Dirk Elbers trat in viele Fettnäpfchen

Achim Moeller, Wahlkampf-Coach und Ausbilder für Spitzenkräfte der SPD, weiß, was eine gute Kampagne ausmacht. Dazu gehört zum Beispiel die „große Idee“, die ein Kandidat hat. Im Fall des Bottroper OBs Bernd Tischler ist „Innovation City“ diese Idee. Tischler hat das Projekt zur Chefsache gemacht, zum Stadtgespräch – und damit sich selbst zum Promi.

Gute Kandidaten sprechen Gefühle an. „Emotionen sind wichtiger als der Kopf. Wer liest schon ein Wahlprogramm?“, sagt Moeller. Außerdem: „Gute Kandidaten vermeiden Fehler und Fettnäpfchen.“ Gut möglich, dass der Düsseldorfer OB Dirk Elbers gerade deshalb so überraschend schwach abgeschnitten hat. Wer Schilder an die Stadtgrenze stellt mit dem Spruch „Sie verlassen den schuldenfreien Sektor“, wer im Ruhrgebiet „nicht tot überm Zaun hängen will“, fällt auf. Und zwar negativ. Moeller: „Wähler mögen es nicht, wenn Politiker Grenzen überschreiten. Anstand und gute Nachbarschaft sind vielen wichtig.“

Schwarz-Grün in Düsseldorf möglich

Ab sofort beginnt in 28 NRW-Kommunen das Gezerre um die Stichwahlen der Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte. Nach einer dicken Überraschung in Düsseldorf muss OB Dirk Elbers (CDU) noch einmal gegen SPD-Herausforderer Thomas Geisel antreten. Elbers verlor 13,6 Prozent Stimmen – und setzt im zweiten Wahlgang auf die Hilfe der Grünen. CDU-Landeschef Armin Laschet warnte zwar vor der Illusion, man könne „Wähler wie Pakete hin- und herschieben“. Er würde sie „aber nicht von Schwarz-Grün abhalten“, setzte er hinzu.

Die Grünen halten sich alles offen. Landeschefin Monika Düker nannte Elbers zwar den „großen Wahlverlierer“ – auf eine Absage an den CDU-Mann für die Stichwahl wollte sie sich aber nicht festlegen. Die Grünen ziehen auch Schwarz-Grün im Düsseldorfer Rat in Betracht.

Vor der Stichwahl von Dortmunds OB Ullrich Sierau gegen Annette Littmann (CDU) sieht CDU-General Bodo Löttgen Anzeichen, dass die „Herzkammer der SPD zu flimmern beginnt“. SPD-Chefin Hannelore Kraft hielt dagegen: „Ich sehe da nichts flimmern.“ Dass Sierau seinen Amtsbonus nicht ausspielen konnte, geht aufs Konto der eigenen Partei, die in ihrer einstigen Hochburg einen schleichenden Niedergang erlebt. Doch Sierau steht sich bisweilen selbst im Weg. Im Umgang mit Widersachern und Untergebenen trifft er nicht immer den richtigen Ton. Zudem hat er Probleme in der eigenen Partei.

Neun Tipps für einen erfolgreichen Wahlkampf

Wahlkampf-Experte Achim Moeller nennt neun Kriterien für eine gute Kampagne:

  • 1. Die große Idee. Das kann ein Projekt sein wie Innovation City in Bottrop oder schlicht der Wunsch, mehr Flair und Glanz in die Stadt zu bringen. Wenn die Idee zum Stadtgespräch wird, hat der Kandidat alles richtig gemacht.
  • 2. Politik wird immer persönlicher. Darum sollte der Kandidat eine Führungspersönlichkeit sein. Einer mit Ausstrahlung, auf den die Bürger stolz sind.
  • 3. Glaubwürdigkeit ist wichtig. Die Glaubwürdigkeit der Parteien sinkt, also muss der Kandidat persönlich glaubwürdig sein.
  • 4. Emotionalisierung. Der Kandidat muss die Gefühle der Bürger ansprechen können. Emotionen sind oft wichtiger als der Kopf. Wer liest schon ein Wahlprogramm?
  • 5. und 6. Der Wunsch nach Stabilität und der Wunsch nach Veränderung. Beides ist als Botschaft im Wahlkampf möglich. Amtsinhaber neigen zu einem Stabilitäts-Wahlkampf, Herausforderer betonen den Wechsel.
  • 7. Fehler des politischen Gegners nutzen und eigene Fehler vermeiden. Ein Fehler ist zum Beispiel mangelnde Bürgernähe. Ein Kandidat ist gut beraten, sich zu den Menschen zu begeben: in die Gaststätten, in Busse und bahnen, auf die Straße. In Rüsselsheim ist ein Politiker mal unangenehm als Mercedes-Fahrer aufgefallen. Ein Fehler in einer Opel-Stadt.
  • 8. Image-Pflege. Welches Bild machen sich die Menschen von mir und meiner Partei? Kommen wir als zerstrittener Haufen rüber? Dann muss dieser Ruf korrigiert werden.
  • 9. Die Art des Wahlkampfes. Allzu oft sind Kampagnen noch so langweilig und öde wie in den 1960-er Jahren. Mit einem Begriff wie „Fortschritt“ war damals viel, heute aber wenig zu gewinnen.