Papst Franziskus mag vor Antritt seiner Nahostvisite vielleicht beteuert haben, die Reise sei lediglich die eines Pilgers und diene keinem politischen Zweck. Doch der argentinische Pontifex verfolgt weitaus ambitioniertere Ziele als Pilgerstätten mit Besuchern zu füllen und Zettelchen in der Klagemauer zu hinterlassen. Das Oberhaupt des kleinsten Staates der Welt hatte – vielleicht Gott sei Dank – da Erfolg, wo die Supermacht USA scheiterte: Israels Staatspräsident Schimon Peres und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas beantworteten seine Einladung, schon im Juni gemeinsam im Vatikan für Frieden zu beten, umgehend mit einer Zusage. Schon schätzten die internationalen Medien, eine Friedenslösung zwischen Israelis und Palästinensern rücke näher.

Der politische Wert dieser Geste wird ebenso überbewertet, wie ihre historische Bedeutung unterschätzt wird. Dass Franziskus Abbas und Peres zusammenbringt, ist kaum eine Leistung: Die beiden mögen und schätzen einander und würden sich viel öfter treffen, wenn sich dazu nur Gelegenheit böte. Dass es Franziskus vergönnt ist, als Anlass zu fungieren, schuldet er zwei Umständen: einmal seiner moralischen Statur. Wenn der Papst Peres öffentlich einlädt, kann Premier Netanjahu keinen Riegel vorschieben.

Doch noch wichtiger dürfte sein, dass Israels und Palästinas Hardliner weder Franziskus noch Peres oder Abbas besonders ernst nehmen. Was kann es schließlich ändern, wenn Peres, dessen Nachfolger am 10. Juni gewählt werden soll, sich mit Abbas, dessen Amtszeit bereits vor vier Jahren ablief , trifft, als Gäste eines 77 Jahre alten Papsts, der weder in der UNO noch in der Weltwirtschaft etwas bewirken kann?

Gleichzeitig wird die historische Bedeutung von Franziskus’ Geste unterschätzt. Sie symbolisiert nicht weniger als das Ende einer fast 2000 Jahre alten Feindschaft zwischen der katholischen Kirche und den Juden. Vor genau 110 Jahren empfing Papst Pius X. den Gründer der zionistischen Bewegung, Theodor Herzl, zu einer Privataudienz.

Herzl bat Pius um Hilfe bei der Errichtung des Judenstaats, doch für das Oberhaupt der Kirche war es undenkbar, solch ein Projekt zu unterstützen: „Die Juden haben Unseren Herrn nicht anerkannt, und daher können wir das jüdische Volk nicht anerkennen“, zitierte Herzl später Pius’ Antwort in seinem Tagebuch.

Schon im vierten Jahrhundert wetterte der Erzbischof von Konstantinopel Johannes von Antiochia im Schriftband „Adversos iudaeos“: „Weil ihr Christus getötet habt, weil ihr gegen den Herrn die Hand erhoben habt, weil ihr sein kostbares Blut vergossen habt, deshalb gibt es für euch keine Besserung mehr, keine Verzeihung und auch keine Entschuldigung.“ Und Augustinus von Hippo wollte die Juden nur als schlechtes Beispiel am Leben lassen. Da sie Jesus nicht anerkannten, sollten sie in „Knechtschaft“ leben.

Und nun das: Der Vatikan erkennt Israel nicht nur an, sondern der Papst persönlich setzt sich sogar dafür ein und versucht, sein Existenzrecht als Vermittler zu den Palästinensern zu sichern. Er will den Judenstaat nicht bekehren, sondern beschützen. Und die Nachkommen der Opfer der Kreuzritter, die Juden auf ihren Pilgerfahrten zu Zehntausenden abschlachteten, die Überlebenden der Pogrome, die im Namen Christi an ihnen begangen wurden, nehmen das Angebot des Pontifex dankend an! Und das macht für das anberaumte Treffen zwischen Peres und Abbas ein wenig Hoffnung: Denn wenn eine Aussöhnung zwischen Kirche und Juden möglich war, ist jeder Frieden denkbar.