Brüssel. .

Beim Twittern liegen sie schon vorn. Mehr als zwei Drittel der Abgeordneten benutzen mittlerweile den Kurznachrichtendienst, und niemand ist so populär wie Marine Le Pen, Chefin der französischen Rechtspartei Front National. Mit 281 000 Twitter-Gefolgsleuten (Follower) liegt sie vor ihrem linkspopulistischen Landsmann Jean-Luc Mélenchon und dem britischen EU-Verächter Nigel Farage. Aber auch an der Urne dürfen sich die Euro-Skeptiker diesmal verbesserte Chancen ausrechnen.

Schwierige Vorhersagen

Natürlich sind die Vorhersagen für Europawahlen besonders schwierig: Es geht um 28 Länder mit unterschiedlichem Wahlrecht und einer jeweils eigenen Überlagerung europäischer Gesichtspunkte durch das, was die Bürger gerade an der nationalen Politik aufregt oder interessiert. Doch hinsichtlich der Mandatsträger an den Rändern des Plenums sind sich die Demoskopen seit Monaten ziemlich einig: Ein Fünftel bis ein Viertel der Sitze, vielleicht sogar etwas mehr, werden sie erringen. Gut 200 der 751 Mandate sind drin.

Anhänger haben sie quer durch die ganze EU. Im Norden sind es Die (wahren) Finnen, die Schwedendemokraten und die Dänische Volkspartei, im Osten Ataka aus Bulgarien, Jobbik in Ungarn und die Groß-Rumänen. In Italien machen der Polit-Clown Beppe Grillo, die separatistische Lega Nord und Teile von Berlusconis Forza Italien Stimmung gegen „Brüssel“. In Griechenland sind in Gestalt der Goldenen Morgenröte regelrechte Neo-Faschisten am Werk, auch die Kommunisten sind erklärte EU-Gegner. Tief im Westen, auf den britischen Inseln, macht das Schand- und Großmaul Farage mit seiner UKIP den Alt- Parteien die Hölle heiß. Und im Zentrum des Kontinents tummeln sich unter anderem die Partei für die Freiheit des niederländischen Islam-Hassers Geert Wilders, die Freiheitlichen aus Österreich, Frankreichs Front National und die Alternative für Deutschland (AfD) des Wirtschaftsprofessors Bernd Lucke. Die jüngsten Umfragen sehen die AfD bei sieben Prozent – damit wäre sie sicher im Europaparlament, selbst wenn das Bundesverfassungsgericht die Fünf- und Dreiprozent-Hürde nicht gekippt hätte. Mit der Beseitigung der Schwelle hat aber auch Udo Voigt, Spitzenkandidat der rechtsextremen NPD eine Chance.

Mehrheitsbildung nicht in Gefahr

Die mehr oder weniger pro-europäischen Parteien der rechten und linken Mitte werden auch in Zukunft das parlamentarische Geschäft dominieren. Die Mehrheitsbildung scheint nicht in Gefahr: Schon in der auslaufenden Legislaturperiode haben die beiden größten Fraktionen – Christdemokraten und Sozialdemokraten – in fast drei Viertel der Fälle zusammen gestimmt. Richtig ist auch, dass Europa-Muffel schwerer zueinander finden als Europa-Freunde. Nur wer eine Fraktion zusammenbringt, kommt bei den Entscheidungen im Plenarsaal wirklich vor, hat Zugriff auf die erforderlichen Mittel und Positionen. Mindestens 25 Abgeordnete aus sieben EU-Staaten werden für die Bildung einer Fraktion gebraucht – das nötige Quantum Internationalismus fällt den Nationalisten traditionell schwer.