Berlin/Washington. .

Seit Monaten wurde darüber spekuliert, nun ist es offiziell. Am Dienstag ging in Berlin eine Anfrage der US-Regierung ein, einen Häftling aus Guantánamo in Deutschland aufzunehmen. Um wen es sich dabei handelt, ist ein offenes Geheimnis. Der Mann heißt Younous Chekkouri, stammt aus Marokko, ist 46 Jahre alt, sitzt seit zwölf Jahren im US-Lager auf der Insel Kuba, ohne Anklage. Noch heute befinden sich dort 150 Männer. Etwa die Hälfte von ihnen gilt als unbedenklich, auch Chekkouri. Sie gerieten kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 unter Terrorverdacht; und wie man heute weiß: fälschlicherweise.

US-Präsident Barack Obama hatte bei seinem Amtsantritt 2009 vor der Weltöffentlichkeit die Schließung von Guantánamo versprochen. Vor allem der Kongress verweigerte ihm aber die Gefolgschaft. Unabhängig davon ist es auch nicht ganz einfach, ein Aufnahmeland zu finden. Damit beauftragt sind der Jurist Clifford Sloan und Paul Lewis vom US-Außenministerium. Seit einem Jahr sind sie als Sonderbotschafter des Präsidenten in der Welt unterwegs. Zählt man Chekkouri hinzu, hat das Duo bisher erst 14 Inhaftierte in ihre Heimat- oder Drittländer vermitteln können. Nach der Aufnahme von drei Männern vom chinesischen Volksstamm der Uiguren durch die Slowakei Ende 2013 war kein weiteres Land in Europa bereit, der Obama-Regierung zu helfen.

Nächste Woche fliegt Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nach Washington. Aber sein Sprecher hat gestern klargemacht, dass dann nicht mit einer Entscheidung zu rechnen ist. Im Gegenteil: Die Informationen der Amerikaner reichen nicht aus. Deutschland hat schon 2010 zwei Guantánamo-Häftlingen geholfen, einem Palästinenser und einem Syrer, die in Hamburg und in Rheinland-Pfalz ein neues Leben beginnen durften. De Maizière war 2010 auch Innenminister und nahm sich damals acht Monate Zeit für eine Entscheidung. Er hatte seither keinen Grund, sie zu bereuen. Die Männer wurden psychologisch betreut, in der Anfangszeit auch streng bewacht, aber führen inzwischen ein normales, ruhiges, unauffälliges Leben. Es gebe „null Klagen“, heißt es in Berlin.

Wenn man Murat Kurnaz glaubt, dann wäre es auch mit Chekkouri nicht anders. „Ich erinnere mich an Younous als einen ausgesprochen liebenswürdigen Mann. Er hat eine zurückhaltende und ruhige Art.“ Sie lernten sich (nach der Festnahme in Pakistan) in Kandahar kennen. Im Gefängnis in Afghanistan sprach er Kurnaz auf Deutsch an. Zusammen wurden sie dann im Januar 2002 von Pakistan nach Guantánamo verlegt.

Kurnaz ist längst frei und hatte erst Ende Januar in der „Süddeutschen Zeitung“ appelliert, seinen Freund in Deutschland aufzunehmen. Schon damals sondierten die USA das Feld in Berlin. Denn Chekkouri wehrte sich gegen eine Auslieferung in seine Heimat – aus Angst vor neuer Folter. Laut Kurnaz hat er drei Verwandte in Deutschland, einen Onkel, eine Tante und einen Cousin, die seit Jahrzehnten Deutsche sind und die in Baden-Württemberg leben. Das erklärt, warum die USA sich an die Bundesregierung gewandt haben. Der Bezug zu Baden-Württemberg ist ein Hinweis, wo er landen könnte.

Damals wie heute gilt de Maizières Satz: „Wir nehmen keine Terroristen ins Land auf.“ Das setzt langwierige Sicherheitsüberprüfungen voraus. Aber auch die Amerikaner zögern, etwa bei 50 Jemeniten. Sie in ihre Heimat zu schicken, scheut sich die Obama-Regierung wegen der Anfälligkeit des Landes für das Terrornetzwerk Al-Kaida. Sie bleiben auf Guantánamo, wo nichts auf eine baldige Schließung hindeutet. Mit Konteradmiral Kyle Cozad wird in Kürze bereits der 14. Kommandant für die 2200 Soldaten auf der US-Marinebasis seinen Dienst antreten.