Berlin. .
Schlaglöcher, marode Brücken – Realität auf deutschen Straßen. „Wir haben ein Problem“, meint Reinhard Meyer. Das könne „inzwischen jeder sehen“, glaubt der Schleswig-Holsteiner, der derzeit die Verkehrsminister-Konferenz anführt. In schöner Regelmäßigkeit fordern Meyer und seine Kollegen vom Bund Geld für die Sanierung von Straßen, Schienen und Wasserwegen, zuletzt noch am 3. April. Gestern befeuerte Meyers Chef Torsten Albig (SPD) die Debatte mit der Forderung nach einer Sonderabgabe für Autofahrer. Es ist kein bloßer Feiertagsaufreger. Nicht nur der Ministerpräsident beklagt, dass Deutschland auf Verschleiß regiert wird. Und bis Anfang Juli will Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ohnehin Vorschläge für eine Pkw-Vignette machen. Die Debatte kommt. Alle Fragen im Überblick.
Was treibt Albig um?
Die Große Koalition konnte sich in erster Linie auf eine Pkw-Maut nur für Ausländer einigen. Albig bezweifelt, dass dies EU-rechtskonform ist und genug Geld einbringen würde. Er schlägt einen Nebenhaushalt vor, einen Fonds „Reparatur Deutschland“. Die Autofahrer sollen eine Sondergebühr zahlen, etwa 100 Euro im Jahr, und zwar so lange, „bis wir wieder heile Straße haben“.
Warum stellt die Bundesregierung nicht mehr Mittel zur Verfügung?
SPD und Union haben verabredet, bis 2017 fünf Milliarden Euro mehr als in der letzten Legislaturperiode bereitzustellen. Diese Mittel seien ein „Tropfen auf den heißen Stein“, so Albig. „Wir brauchen zusätzlich sieben Milliarden Euro.“ Jedes Jahr.
Wie kommt er darauf?
Auf jährlich genau 7,2 Milliarden Euro beziffern die Verkehrsminister den Sanierungsstau. Bei ihnen hat Albig auch den Vorschlag abgeschaut, ein Sondervermögen zu bilden. Meyer und Co. nennen es „nachholende Sanierung“. Flotter klingt Albigs „Reparatur Deutschland“. Ähnliche Töne kennt man aus der Wirtschaft, selbstredend auch von der Bahn. Dobrindts Amtsvorgänger Peter Ramsauer (CSU) hatte immer ein Beispiel aus dem Schienennetz parat: 9000 der 28 000 Brücken seien über 100 Jahre alt. Aber nicht nur die CSU treibt die Debatte voran. Man dürfe nicht zusehen, „wie die öffentliche Infrastruktur auf Verschleiß läuft und wie Straßen, Brücken oder auch kommunale Gebäude vor die Hunde gehen“, sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in seiner ersten Regierungserklärung am 13. Februar im Bundestag.
Wie wird aus der Forderung nach mehr Haushaltsmitteln der Ruf nach einer Sonderabgabe, nach der Maut?
Das hat mit Macht zu tun. „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“ – zu dem „Machtwort“ hat sich Kanzlerin Angela Merkel im TV-Duell mit ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück verleiten lassen. Flugs hat Merkel es relativiert. Die Koalition einigte sich darauf, die Lkw-Maut auszuweiten und darüber hinaus sicherzustellen, dass es keine Mehrbelastung der Autofahrer in Deutschland geben werde. Als Trost packte man aus dem Haushalt jene fünf Milliarden zusätzlich für Investitionen drauf. „Ich weiß, dass das sicherlich mehr sein könnte“, bekannte Merkel zuletzt in der Haushaltsdebatte. Sie klingt defensiv. Da vor allem die Union gleichzeitig auf einen ausgeglichenen Haushalt pocht, gibt es keine Sachlösung ohne einen Wortbruch, entweder von Merkel (Maut) oder von Finanzminister Wolfgang Schäuble: Seine schwarze Null wäre Makulatur.
Kann man mit der Maut Wahlkämpfe gewinnen?
Die CSU machte es in Bayern vor. Allerdings unter den besonderen Bedingungen im Freistaat. Österreich verlangt eine Maut – das ärgert die Bayern.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Obwohl bei der CSU nicht besonders beliebt, hat EU-Kommissar Günter Oettinger ihr eigentlich eine Brücke gebaut: Er schlägt eine einheitliche Straßenbenutzungsgebühr für den europäischen Binnenmarkt vor. Dann wäre Dobrindt das Risiko los, dass eine Vignette in der EU scheitern könnte; man würde mehr Geld mobilisieren, ohne dass Schäuble Schulden machen müsste; und die Kanzlerin könnte ihre Hände in Unschuld waschen und auf die EU verweisen. Ideenstau aufgelöst?