Essen. . Junge Menschen haben immer mehr Probleme, ein Wunsch-Studium zu beginnen. Die Hochschulen reagieren mit Zulassungsbeschränkungen auf den Ansturm der jungen Studierwilligen. In NRW stöhnen Nachwuchs-Akademiker über den Numerus clausus.

Der Ansturm auf die Hochschulen hält unvermindert an. Seit 2005 stieg die Zahl der Studienanfänger um fast die Hälfte. Derzeit sind rund 2,6 Millionen junge Menschen eingeschrieben, in NRW stieg die Zahl auf über 680.000.

Die Hochschulen reagieren darauf immer mehr mit Zulassungsbeschränkungen (Numerus clausus). Knapp die Hälfte aller Studiengänge sind nach einer neuen bundesweiten Erhebung, die das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) der Bertelsmann Stiftung gestern veröffentlichte, mit einem Noten-NC belegt.

Noch stärker betroffen sind vielerorts die Studiengänge in den Ingenieur- und Naturwissenschaften, deren Absolventen auf dem Arbeitsmarkt besonders gefragt sind. Vor allem in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen ist die Lage dramatisch, ergab die CHE-Studie. So sind in der bei Studenten beliebten Hauptstadt 72 Prozent aller Ingenieur-Studiengänge mit einem NC belegt.

In Hamburg sind fast alle Studiengänge zugangsbeschränkt

In Mathematik und Naturwissenschaften sind etwa acht von zehn Studiengängen zulassungsbeschränkt, in Hamburg sogar über 90 Prozent. Auch in Baden-Württemberg haben es Studenten, die Ingenieure werden wollen, schwer. 65 Prozent aller Studiengänge haben einen NC. Etwas besser ist die Lage in diesen Fächern in NRW und Bayern: Die NC-Quoten liegen in diesen Ländern bei etwa 40 Prozent.

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Seit Jahren spitze sich die Lage zu, sagt der Bochumer Sozialwissenschaftler und Hochschulexperte Jörg Bogumil. „Seit gut fünf Jahren wächst die Zahl der NC-Fächer deutlich an.“

Das Problem seien fehlende Studienplätze und eine Unterfinanzierung der Lehre an den Hochschulen, so Bogumil. Darunter leide auch die Betreuungsrelation, die in NRW besonders schlecht sei. Hier muss sich nach Angaben der Hochschulen mittlerweile ein Professor um etwa 90 Studierende kümmern. Bogumil: „Die Hochschulen müssen dann einen NC einführen, um die Qualität des Studiums zu sichern.“

Zugleich warnt die Industrie vor einem drohenden Fachkräftemangel. Nach einer aktuellen Analyse des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) würden künftig pro Jahr 50.000 Ingenieure altersbedingt ausscheiden. Zusätzlich würden 40.000 neue Ingenieursstellen benötigt. Diesen Bedarf könnten die Hochschulen nicht decken, weshalb verstärkt Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden müssten.

Rekord-Ansturm auf die Hochschulen in NRW

In NRW kann ein Student unter 2000 Studienfächern wählen. Ist die Entscheidung für den richtigen Studienweg schon alles andere als einfach, beginnt anschließend erst der richtige Kampf: die Suche nach einem Studienplatz.

Wegen des doppelten Abiturjahrgangs 2013 verzeichneten die NRW-Hochschulen einen Rekordansturm. Rund 120.000 Erstsemester schoben sich in die ohnehin überfüllten Hörsäle. Zwar wurden mit Milliardensummen von Bund und Land die Zahl der Studienplätze deutlich erhöht, doch auf Zulassungsbeschränkungen konnte keine Hochschule verzichten.

So waren zum Semesterstart im letzten Herbst an der Uni Bonn 85 von 109 Studiengängen mit einem NC belegt. Das entspricht einer Quote von 78 Prozent. In Aachen waren 61 von 81 Studiengängen zulassungsbeschränkt (75,3%). Ähnlich sah es an den Unis Duisburg-Essen (72%) und Köln (71,3%) aus. Etwas besser war die Lage an der Ruhr-Uni Bochum, wo 54 von 84 Studiengängen (64%) einen NC hatten.

Brauchen wir so viele Akademiker? 

Dabei ist die Lage je nach Fachgebiet und Bundesland sehr unterschiedlich, zeigt die Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE). Während besonders die beliebten Großstädte wie Berlin und Hamburg den Zugang stark einschränken, haben Studierwillige trotz schlechterer Noten in ländlich geprägten Bundesländern wie Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz sowie in den ostdeutschen Bundesländern gute Chancen auf einen Wunschstudienplatz. In Thüringen ist zum Beispiel weniger als ein Drittel aller Studiengänge mit einem NC belegt.

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„Mit der Studie wollen wir auch an die Studierenden appellieren, etwas flexibler zu denken“, sagt Cort-Denis Hachmeister, einer der Autoren der CHE-Untersuchung, dieser Zeitung. Zudem soll sie die Politik auffordern, die Hochschulfinanzierung auf solidere Beine zu stellen. Denn die vielerorts hohen NC-Quoten seien ein Beleg dafür, dass einzelne Länder und Hochschulen „an ihre Belastungsgrenze“ gingen.

Studentenwerke: Die Unis stehen mit dem Rücken zur Wand

Dass die Hochschulen bundesweit unterfinanziert sind, ist eine wiederkehrende Klage der Rektoren. Vor allem der bildungspolitisch gewünschte Anstieg der Studierendenzahlen macht den Hochschulen zu schaffen. „Sie stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk dieser Zeitung.

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Jahr für Jahr schreiben sich rund eine halbe Million Erstsemester neu ein. Angesichts dieser Zahl wird immer wieder die Frage gestellt: Brauchen wir so viele Akademiker? „Der Trend ist wünschenswert“, stellt der Bochumer Sozialwissenschaftler Jörg Bogumil fest.

„Im internationalen Vergleich ist die Studierendenquote in Deutschland nicht hoch.“ Jetzt den Schülern von einem Studium abzuraten, sei falsch. Stefan Grob findet die Akademikerdebatte „überflüssig und müßig“. Die jungen Menschen, die heute durch den flächendeckenden NC vor einem Studium zurückschreckten, würden dem Ar­beitsmarkt morgen fehlen.

In Kürze beginnt das Rennen um einen Studienplatz erneut: Am 15. Juni enden die Bewerbungsfristen für das nächste Wintersemester. Es wird Zeit, sich zu orientieren.

NC bedeutet nicht immer „Einser-Abitur“

Ein Einser-Abi benötigt man für Medizin, Pharmazie, Tiermedizin und Zahnmedizin. Die Plätze für diese Studiengänge werden bundesweit zentral vergeben. Bewerbungen laufen über das Online-Portal www.hochschulstart.de .

Ein Orts-NC bedeutet, dass für einen Studiengang an einer Hochschule eine Höchstzahl von Plätzen festgelegt ist. Entsprechende Studiengänge an einer anderen Uni oder in einem anderen Bundesland könnten zulassungsfrei sein. Um das herauszufinden, hilft ein Blick auf die Seite www.hochschulkompass.de: Wunschstudiengang wählen und „nicht zulassungsbeschränkt“ anklicken. Bewerbungen an mehreren Hochschulen erhöhen die Chancen.

NC bedeutet nicht immer Einser-Abi. Am Ende des Bewerbungsverfahrens sackt die erforderliche Note oft deutlich ab, weil Interessenten abspringen und Plätze frei werden. Erfahrungsgemäß hat man mit einem Notenschnitt von 2,5 eine gute Auswahl an Studiengängen.