Berlin. .
Der 4. Juli ist ein wichtiger Tag im Kalender von Andrea Nahles. Auf seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause soll der Bundestag den Mindestlohn verabschieden. „Ich glaube, wir können dann von einem historischen Tag sprechen“, sagte die Arbeitsministerin gestern in Berlin. Das SPD-Prestigeprojekt hatte sie zuvor durch das Kabinett gebracht – nach nur 107 Tagen im Amt.
Nahles hat keine Zeit vertan und wähnt sich nah am Ziel. Das Parlament kann noch manches ändern, und im September folgt der Bundesrat. Für 15 Branchen stehen überdies noch passgenaue Lösungen aus, etwa für Zeitungszusteller und Taxifahrer. Ein Scheitern erwartet aber niemand.
Ab 2018 erste Erhöhung
Die Fakten sind bekannt. Der Mindestlohn soll flächendeckend 8,50 Euro betragen und zum 1. Januar 2015 in Kraft treten. Etwa 3,7 Millionen Menschen werden besser gestellt. Bis 2016 können einzelne Branchen davon abweichen – später nicht mehr. Und ab 2018 winkt bereits die erste Erhöhung, über die eine Kommission befindet.
Nahles erwartet nicht, dass die Schwarzarbeit zunehmen wird oder Jobs verloren gehen. Dafür spreche die Erfahrung. Mindestlöhne gibt es bereits in 13 Branchen sowie in 21 europäischen Ländern. 8,50 Euro hält sie im Vergleich für maßvoll. Dennoch werden die Arbeitskosten steigen, womöglich auch die Preise. Nahles schließt das nicht aus. Sie bittet nur darum, volkswirtschaftlich dagegen zu rechnen, dass sich zugleich die Kaufkraft erhöhen wird.
Gestern standen die Ausnahmen politisch im Mittelpunkt. Erstens, Jugendliche werden nicht erfasst. Der Mindestlohn gilt ab 18 Jahre. Einige Christdemokraten würden die Altersgrenze gern anheben – die Gewerkschaften halten dagegen. Das ist eine dieser Schrauben, an denen der Bundestag drehen könnte. Zweitens, der Mindestlohn gilt nicht für Auszubildende und Praktikanten, die im Rahmen von Schule, Studium, Ausbildung ein Praktikum von bis zu sechs Wochen machen. Für ehrenamtlich Tätige, drittens, ändert sich nichts. Viertens sieht der Gesetzentwurf eine Ausnahme für Langzeitarbeitslose vor, die einen Job finden. In den ersten sechs Monaten kann der Arbeitgeber weniger als den Mindestlohn zahlen.
Als langzeitarbeitslos gilt, wer länger als ein Jahr keinem geregelten Job nachgeht. Das trifft auf eine Million Leute zu, die oft als schwer vermittelbar gelten. Faustformel: 180 000 schaffen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt.
Anreiz für Arbeitgeber
Nahles hofft, dass Arbeitgeber künftig häufiger sagen werden, „okay, das ist ein Angebot“, wenn sie unter dem Mindestlohn bleiben können. Der Anreiz für die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen war ihr letztes Zugeständnis. Im Einzelfall kann die Ministerin nicht ausschließen, dass Arbeitgeber Leute einstellen, ihnen nach sechs Monaten kündigen und sie durch andere Arbeitslose ersetzen. Wird das ein Geschäftsmodell?
Nahles kann Korrekturen anbringen. Bis Ende 2016 können einzelne Branchen Tarifverträge unterhalb von 8,50 Euro abschließen. So können zumindest einzelne Branchen noch Zeit gewinnen.