Hagen/Dortmund. .

Jürgen Roloff (Name von der Redaktion geändert) ist seit fast 25 Jahren Lehrer. Östliches Ruhrgebiet, Gymnasium, Oberstufe. Deutsch und Naturwissenschaften. Der Mittfünfziger hat sich „immer reingehängt“, wie er betont. Neben seinen regulären Unterrichtsstunden leitete er Arbeitsgruppen, arbeitete eine Zeit lang als Vertrauenslehrer: „Ich war wirklich engagiert.“ Jetzt sitzt Roloff in einem Dortmunder Café, raucht seine dritte Zigarette und sagt: „Heute würde ich nicht mehr Lehrer werden wollen. Und meinem Sohn habe ich auch davon abgeraten.“

Geballte Wut

Der Frust sitzt tief bei vielen der gut 150 000 Lehrerinnen und Lehrern in NRW. Sie fühlen sich überrollt von einer Flut von Reformen und Erlassen in den letzten Jahren: vom Hin-und-Her bei den Kopfnoten, vom Streit um die verbindliche Schulempfehlung nach Klasse 4 über die Einführung der Sekundarschule und dem Kompetenzgerangel um die Schulkonferenzen bis zur Einführung von Ganztagsschulen und der Umstellung von G9 auf G8. Die Liste ließe sich fast beliebig verlängern. „Manchmal wussten wir gar nicht, welche Regelung gerade galt“, erinnert sich Lehrer Roloff.

Wer sich in einschlägigen Foren im Internet umsieht, erhält einen Einblick in die geballte Wut der Pädagogen. „Bildungsreformen dürfen nicht auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetragen werden“, fordern Lehrerverbände wie der VBE seit Jahren. „Aber auf uns Lehrer hört ja niemand“, klagt Jürgen Roloff. Inzwischen schrecke so mancher seiner Kollegen sogar davor zurück, seine unbequeme Meinung laut kundzutun.

Ist Kritik in der Schulbürokratie nicht erwünscht? Als sich vor einigen Monaten 20 Sonderschulleiter aus dem Raum Aachen in einem Protestbrief an ihre jeweilige Stadt über die mangelnde personelle Ausstattung beklagten, erhielten sie prompt eine Einladung zur „Dienstbesprechung“ bei der Schulaufsicht. Seitdem kursiert in den Schulen das böse Wort vom „Maulkorb“.

Das führt zu neuem Frust. Immer seltener sind Lehrer bereit, neben ihrer eigentlichen Tätigkeit zusätzliche Aufgaben zu übernehmen. Symptomatisch für diese Entwicklung: Fast 700 der knapp 5700 öffentlichen Schulen in NRW stehen ohne Rektor da. Für rund 500 Euro brutto mehr im Monat finden sich kaum noch Pädagogen, die sich die erhebliche zusätzliche Organisationsarbeit antun wollen.

Denn auch ohne Leitungsfunktion empfinden viele Lehrer den beruflichen Stress als enorm. „Ich kenne keinen Kollegen, der nicht über starke Schlafstörungen, Herzprobleme oder ähnliche Symptome klagt“, berichtet Jürgen Roloff.

Jeder dritte geht früher in Pension

Die Statistik unterstützt Roloffs Einschätzung. 2010 erreichte mit 38 Prozent nur etwa jeder dritte Lehrer in NRW bei der Pensionierung die Regelaltersgrenze von 65 Jahren. 22,9 Prozent schieden wegen Dienstunfähigkeit aus – häufige Gründe waren psychische und psychosomatische Erkrankungen wie Burnout. So stark wie Anforderungen steigen, so drastisch ist das Ansehen der Lehrer in der Öffentlichkeit gesunken. Der Dortmunder Roloff kommentiert das so: „Wir Lehrer sind für alle Seiten nur noch die Prügelknaben“, klagt der Pädagoge, „alles was schief läuft im System, wird uns angekreidet.“