Gelsenkirchen. . Der Gelsenkirchener Fußballclub schlägt eine Einladung des Kreml-Chefs aus, weil die Krim-Krise die Begegnung mit dem russischen Spitzenpolitik erschwert. Trotzdem will der Verein den russischen Sponsor nicht verprellen. Die Fangemeinde ist gespalten, jetzt wird die Frage ein Fall für den Ehrenrat.

Seit wenigen Tagen weiß Roman Kolbe, dass man auch mit einem simplen offenen Brief ein Fass aufmachen kann. Da hatte der 42-Jährige an den Ehrenrat von Schalke 04 geschrieben: Keinesfalls dürfe die Mannschaft Russlands Präsidenten Wladimir Putin besuchen, wie der es sich offenbar wünschte. „Die ganze Reaktion, die ich vom Verein bekam, war eine E-Mail, eine Art Empfangsbestä­tigung“, erinnert sich Kolbe.

Was er aber lostrat, war nicht nur die baldige Befassung des Ehren­rates um den früheren Vereins­pfarrer Hans-Joachim Dohm. Sondern eine Debatte in Foren und Medien über die engen geschäft­lichen Verbindungen zwischen Schalke und seinem Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies auf der einen Seite, Putin und dem Hauptsponsor, Staatskonzern und Gasabdreher Gazprom auf der anderen. Und das, obwohl Gazprom in Kolbes Brief gar nicht vorkam.

Man sieht es schon, die Sache hatte Potenzial.

Realisten gegen Idealisten

Die freundliche Einladung, die ­Putin während der vergleichsweise sonnigen Zeiten von Sotschi Tönnies gegenüber aussprach, gilt nach der ukrainischen Eskalation als ­typisches Danaergeschenk: von Unheil umwittert, den Ärger anziehend, vielleicht sogar schädlich.

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Zumindest teilt es Fans entlang der klassischen Linie: In Realisten („Wenn jeder Bundesligakicker­verein unter politisch-moralischen Gesichtspunkten seine Sponsoren auf den Prüfstand stellen würde, bedeutet dies das Aus der Bundes­liga“) und Idealisten („Wenn es ums Geld geht, da treten eben Menschenrechte in den Hintergrund, da macht nicht einmal der Fußball eine Ausnahme“).

Gazprom ist ein „verlässlicher Partner“ – und sehr spendabel

Nun stellt sich die Frage nach der Reise nicht mehr. „Wir haben nicht vor, dieser Einladung nachzu­kommen“, sagt Manager Horst Heldt dem WDR. Ein bisschen muss er an der Stelle punktgenau jonglieren, bezeichnet Gazprom also zugleich als „seit vielen Jahren verlässlichen Partner“. Denn den Hauptsponsor leichten Sinnes zu verprellen, geht natürlich gar nicht: Um die 15 Millionen Euro hoch ist die Jahresrate, und der Vertrag läuft noch bis 2017.

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Der Sponsorenvertrag zwischen Schalke und Gazprom gilt als der lukrativste der Vereinsgeschichte. Bis 2011 flossen jährlich elf Millionen Euro, heute sollen es 15 sein plus Erfolgsprämien. Nur ein Verein habe einen besseren Vertrag mit seinem Sponsor: Bayern München. Schalke-Sprecher Thomas Spiegel sagt, Gazprom verhalte sich „wie ein ganz normaler Sponsor. Er verspricht sich werbliche Bekanntheit.“ Die Reaktionen der Fans auf die Debatte lägen zahlenmäßig „im unteren Bereich“ und seien „nicht nur negativ, sondern auch nachfragend“.

FC Schalke 04 – voran?

Zu bedenken ist auch: Noch vor vier Wochen stießen sich die wenigsten an Schalkes russischem Brot; warum sollte ­ausgerechnet ein Fußballverein vorpreschen mit irgendwelchen Abstrafaktionen?

Zumal Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies herzliche Kontakte pflegt, seit der damalige Bundeskanzler Schröder ihn mit Putin ­zusammenbrachte. Das schimmert durch arg naiv klingende Sätze wie: „Putin bekam leuchtende Augen, als ich ihm von unserem Club erzählte.“

Trikot und Eisbein für den Präsidenten

Dass Tönnies dem Präsidenten gerne mal ein Trikot mitbringt, ist Journalisten ebenso bekannt wie sein Satz: „Er freut sich jedes Mal, wenn ich mit unseren Taschen voller Fleisch ankomme“ (bereichert nun um eine Variante, die die „Zeit“ lustvoll erzählt: ­Sicherheitskräfte hätten Tönnies das Fleisch einmal abgenommen. „Als ich vor Putin stand, sagte er: Wo ist mein Eisbein?“).

Freilich hat Tönnies in Russland nicht nur einen hochgestellten Freund, der ihn stolz macht – sondern auch ­geschäftliche Interessen, wie er selbst im Gespräch mit dem „Landwirtschaftlichen Wochenblatt Westfalen-Lippe“ erzählt.

Große Pläne: Schweinemast in Russland

Er habe Wladimir Putin versprochen, sich in Russland zu engagieren. Man plane bei Woronesch und Belgorod „in drei bis vier Jahren rund 1,5 Millionen Schweine ­jährlich zu mästen, zu schlachten und zu zerlegen. Dabei geht es um 18 landwirtschaftliche Anlagen mit insgesamt 60 000 Hektar Ackerland.“

Doch seit der Krim-Krise ist er stiller geworden bei dem Thema und lässt sich nur noch ganz ­grundsätzlich zitieren: „Das eine ist ein politisches Problem, das ­andere ist eine wirtschaftliche ­Beziehung, wie es viele zwischen deutschen und russischen Unternehmen gibt.“

Das ist eine Trennung, die Kolbe, der Briefschreiber und Fass­aufmacher, nicht versteht: „Seit wir mit Gazprom unterzeichnet haben, sind wir mittendrin in der Politik.“ Tönnies könne ja reisen, wohin er wolle, „aber die Mannschaft doch nicht“.

Auf die Tagesordnung des Ehrenrates kommt die verdammte Einladung nächste Woche aber doch noch – satzungsgemäß befasst er sich immer damit, so Pfarrer Dohm, wenn es „Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Mitglied und einem anderen Mitglied gibt“.