Berlin.

Nächste Woche ist die Große Koalition 100 Tage im Amt. „Es wird regiert“, betont Volker Kauder. Union und SPD wehren sich gegen den Eindruck, dass die Erhöhung der Diäten ihre wichtigste Leistung sei. Den Etat für 2015 – ohne neue Schulden – nennt der Unions-Fraktionschef eine „stramme Leistung“. Fakt ist auch, dass der Fall Edathy die Koalition zurückwarf und die Krim-Krise viele Kräfte bindet. Im Gespräch mit unserer Zeitung blickt Kauder nach vorn.

Frage: Herr Kauder, gehört Sebastian Edathy in die „Klapse“? Oder ist er ein Opfer, ein „Kunstliebhaber“?

Volker Kauder: Die Erklärung von Herrn Edathy ist in keiner Weise überzeugend. Ich will mich zum Fall selbst nicht äußern, bevor die Staatsanwaltschaft nicht erklärt hat, ob er sich aus ihrer Sicht strafbar gemacht hat. Die moralische Frage steht auf einem anderen Blatt. Herr Edathy konnte wissen, wie die Nacktbilder von Kindern entstehen. In jedem Fall hat der Gesetzgeber hier Handlungsbedarf. Wir sollten überlegen, die gewerbsmäßige Verbreitung von Fotos von nackten Kindern zu verbieten und dies unter Strafe zu stellen.

Ist der Streit um den Mindestlohn ausgeräumt?

Die eine oder andere Frage ist offen. Ich sehe aber nicht, dass es zu einem grundsätzlichen Streit führt.

Welche Ausnahmen sind Ihnen wichtig?

Die Arbeitsministerin und ich haben ein gutes Gespräch geführt. Sie weiß, welche Ausnahmen uns wichtig sind: Für Schüler, Studenten, Praktikanten ohne Berufsabschluss, für den ehrenamtlichen Bereich in Kultur und Sport, für Saisonarbeiter. Das erkennt sie zum Teil auch bereits an. Ich habe auch viel Verständnis für die Zeitungsverlage, die Ausnahmen für die Zusteller fordern.

Was ist mit Taxifahrern, mit den Behindertenwerkstätten, mit der Arbeit in Haftanstalten? Passt der Mindestlohn?

Das sind Punkte, für die wir auch eine Antwort finden müssen. Das Gesetzgebungsverfahren ist noch lange nicht abgeschlossen, aber wir sind auf einem guten Weg. Wir reden weiter.

Soll die Altersgrenze 18 Jahre betragen oder höher liegen?

Daran wird das Gesetz nicht scheitern. Es gibt Pro und Kontra. Für eine höhere Altersgrenze spricht, dass die Versuchung geringer wird, auf eine Ausbildung wegen eines besser bezahlten Hilfsjobs zu verzichten. Auf der anderen Seite wollen wir sicher auch nicht, dass Unternehmen Leute kündigen, sobald sie eine Altersgrenze erreichen.

Die Sanktionen gegen 21 Russen und Ukrainer scheinen Putin nicht zu beeindrucken. Wie geht es weiter?

Wir dürfen einen Bruch des Völkerrechts nicht hinnehmen. Die EU hat Sanktionen beschlossen - gut austariert - und kann nachlegen.

Aber harte Wirtschaftssanktionen würden auch den Westen treffen.

Vergessen wir mal nicht: Die russischen Unternehmer, aber auch der Staat müssen Geld verdienen. Wenn die Dinge sich dramatisch weiter entwickeln, ist unsere Wirtschaft gut beraten, unseren Kurs zu unterstützen. Es geht auch um die Verteidigung unserer Werte. Ich bin dankbar, dass die großen Wirtschaftsverbände daran auch keinen Zweifel lassen.

Ist die Krim verloren?

Diese Frage steht derzeit nicht mehr im Vordergrund.

Sondern?

Ob die Russen weitere Schritte unternehmen.

Geht es in erster Linie darum, eine Spaltung der Ukraine zu verhindern?

Politik beginnt doch mit dem Betrachten der Wirklichkeit.

Und die Wirklichkeit ist?

Dass die Krim völkerrechtswidrig annektiert worden ist. Wir werden diesen Zustand nicht akzeptieren. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass sich daran so schnell nichts ändern wird. Da brauchen wir einen langen Atem. Die Menschen sorgen sich, ob es zum Krieg kommt. Vor 100 Jahren hätte so eine Situation Krieg ausgelöst. Dazu wird es heute nicht kommen.

Nehmen wir zu wenig Rücksicht auf russische Interessen, wie die Linkspartei beklagt?

In den vergangenen Jahrzehnten haben wir ein enges Netz politischer, wirtschaftlicher und kultureller Zusammenarbeit aufgebaut. Wir wollten mit Russland eine Partnerschaft aufbauen. Gleichzeitig muss man aber zur Kenntnis nehmen, dass Länder wie Polen, Rumänien, Bulgarien und die baltischen Staaten zur EU und Nato wollten. Es waren freie Entscheidungen. Die Linkspartei ignoriert diesen Freiheitswillen. Sie hat überhaupt kein Verständnis davon, was Europa bedeutet. Die Linke ist die Propagandatruppe Russlands. Und über Teile der SPD kann ich mich nur wundern. Auch nach dieser Diskussion wollen sie die Kontakte mit der Linken weiter pflegen. Ich habe kein Verständnis, wie sie sich der Linkspartei noch an die Brust werfen können.