Essen. Ist Wladimir Putin wahnsinnig geworden? Ist er abgehoben, geht das russische Nationalismus-Temperament mit ihm durch? Nicht nach Putins messerscharfer Logik. Ein Kommentar.

Ist Wladimir Putin wahnsinnig ­geworden? Ist er abgehoben,
geht das russische Nationalismus-Temperament mit ihm durch?

Wohl kaum. Putin ist ein messerscharfer Denker, er ist schlau und verschlagen. Er ist im Geheimdienst sozialisiert. Solche Leute wägen ­genau ihr Blatt. Spieler sind andere Typen. Folgt man einen Moment ­Putins Logik, stellt sich die Ukraine-Krise so dar:

Erstens: Die Ukraine ist schwach. Sie hat eine kaum nennenswerte ­Armee. Umgekehrt proportional dazu verhält sich die neue ukrainische Regierung: Sie will allen Ernstes das europäische Kräftegleichgewicht in eine neue Achslage bringen. Weshalb sollte Russland das zulassen, etwa aus Menschenfreundlichkeit oder Toleranz? Es geht Moskau nicht um Befindlichkeiten, sondern knallharte nationale Interessen.

Zweitens: Weil es um Interessen geht, werden die Russen, so Putins Kalkül, immer weiter gehen als die Amerikaner, für die es in der Ukraine wenig zu gewinnen, sondern viel mehr zu verlieren gibt. Sterben für die Krim? Wohl kaum.

Drittens: Der Westen ist gespalten. Die USA verkünden harte, die Europäer weiche Sanktionen. ­Kunststück: Die USA haben wirtschaftlich wenig, die Europäer viel zu verlieren.

Viertens: Selbst die Europäer sprechen nicht mit einer Stimme. Kanzlerin Merkel wollte am liebsten gar keine Sanktionen, sie hat sich dem Druck gebeugt. Der euro­päische Kompromiss ist halb gar. Putin hat das gewusst, er kennt die Europäer und ihre unterschiedlichen Interessen und Temperamente.

Man muss leider sagen: Bislang geht Putins Kalkül auf. Selbstredend ist sein Vorgehen illegal. Putin bricht das Völkerrecht. Nur: Was ist das Völkerrecht? Im Verhältnis der Staaten zählt oft genug nicht das Recht an sich, sondern das Recht des Stärkeren. Und Putin ist in ­seinem Einflussbereich einfach
der Stärkere.

Für die Nicht-Russen auf der Krim, Ukrainer wie Tataren, ist das furchtbar. Ihnen droht Unterdrückung, ­womöglich Vertreibung. Den ­Menschen im Westen droht die Rückkehr längst ausgetrieben ­geglaubter Dämonen: Die Rückkehr des Kalten Krieges. Langsam wird die Lage verzweifelt.