Berlin. .

Der größte Pflegedienst in Deutschland sind die Familien: Die Mehrheit der 2,5 Millionen Pflegebedürftigen wird zu Hause betreut. Oft von Angehörigen, die selbst noch im Berufsleben stehen. Die Große Koalition will deshalb die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf erleichtern – mit einer bezahlten Pflege-Auszeit und einem Rechtsanspruch auf eine mehrjährige Familienpflegezeit. Für die Grünen ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Tritt ein unerwarteter Pflegefall in der Familie ein, können Angehörige bereits jetzt eine kurzfristige zehntägige Auszeit vom Job nehmen – allerdings ohne Lohnersatz. Das soll sich nun ändern. Wie beim Kinderkrankengeld sollen Angehörige in dieser Phase ihr Gehalt aus Beitragsgeldern der Kassen bekommen.

Die Grünen finden die Regelung problematisch – zehn Tage seien schlicht zu wenig. Sie fordern stattdessen eine dreimonatige Auszeit mit Lohnersatz, um Angehörigen den Druck zu nehmen, innerhalb weniger Tage die Weichen für einen ganzen Lebensabschnitt zu stellen: „Wer unter Druck ist, sucht schnelle Lösungen. Und das bedeutet in der Regel stationäre Pflege“, so die pflegepolitische Sprecherin der Grünen, Elisabeth Scharfenberg, gegenüber dieser Zeitung. Die wenigsten würden sich im „Dschungel“ der Pflege auf Anhieb zurechtfinden. Hätten die Angehörigen aber mehr Zeit, könnten sie nach Alternativen suchen, die Wünsche der Pflegebedürftigen besser berücksichtigen und weitere familiäre Helfer mobilisieren. „Man darf nicht vergessen: Wenn die eigene Mutter, der Vater oder die Schwiegereltern pflegebedürftig werden, kann sich für einige Jahre das ganze Leben ändern.“ Sieben Jahre dauert eine Pflege durchschnittlich.

Die Große Koalition ist nicht die erste, die sich um die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf bemüht: Bereits jetzt gibt es die Möglichkeit für Beschäftigte in größeren Betrieben, sich bis zu sechs Monate für die Pflege eines Angehörigen freistellen zu lassen – ohne Lohnersatz. Vor zwei Jahren kam dann eine weitere Option dazu: Mit der „Familienpflegezeit“ haben Arbeitnehmer die Möglichkeit, mit dem Arbeitgeber ein bis zu zweijähriges Teilzeitmodell auszuhandeln. Wer in einer Pflegephase seine Arbeitszeit zum Beispiel auf 50 Prozent reduziert, bekommt weiterhin 75 Prozent seines Gehalts, muss aber nach Ende der Pflegephase für das gleiche Geld so lange 100 Prozent arbeiten, bis der Ausgleich erreicht ist. Ein Recht auf Familienpflegezeit gab es bislang nicht, das will die Große Koalition jetzt ändern.

Die Grünen begrüßen die Pläne. Aber: „Das Angebot geht in den meisten Fällen am Alltag der Angehörigen vorbei. Die wenigsten können es sich leisten, auf Gehalt zu verzichten – und oft dauert Pflege eben auch viel länger als zwei Jahre“, so Pflegeexpertin Scharfenberg. In der Praxis spiegelt sich das wider: In Umfragen fand die Mehrheit der Deutschen das Angebot zwar gut – tatsächlich aber wurde die Option bislang nur selten genutzt.

Einig sind sich Gesundheitspolitiker von Koalition und Opposition in ihrer Kritik an den gegenwärtigen Beratungsangeboten: Angehörige würden „viel zu selten vernünftig informiert“, beklagt der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn. Die Kassen als Kostenträger der Pflege würden „oft so beraten, dass es kostenneutral für sie ist“. Je günstiger, desto besser? Auch Grünen-Politikerin Scharfenberg sieht das so: „Beratung findet in der Regel bei den Pflegestützpunkten der Kassen statt. Da wurde der Bock zum Gärtner gemacht. Wir brauchen ei­ne unabhängige Beratung, die im Sinne der Betroffenen läuft, nicht im Sinne der Kostenträger.“