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Legt man Thilo Sarrazins neues Buch nach Lektüre der knapp 400 Seiten aus der Hand, hat man ein düsteres Bild von Deutschland vor Augen: Eine diffuse Allianz aus Medien und Politik hat sich per „Meinungsdruck“ die „Dominanz einer bestimmten Weltsicht“ gesichert und unterdrückt über „verdeckte Formen der Kontrolle von Meinungen“ das kleine Häufchen der Aufrechten, die sich der „prägenden Kraft vorherrschender Meinungen“ widersetzen. Deutschland – ein Land, in dem Querdenker mit „Rufmord, Ignorieren, Totschweigen, übler Nachrede und öffentlichem Pranger“ abgestraft werden.
Die Welt der Gutmenschen
Gutmenschen und politisch korrekte Meinungsmacher allerorten – das ist die Welt wie Thilo Sarrazin sie sieht. Er hat sie aufgeschrieben in seinem Buch „Der neue Tugendterror“ (DVA Verlag, ca. 400 Seiten, 23 Euro). Worum es dem Autor geht, macht er in der Einleitung deutlich: „In wachsendem Maße wird die freie Betrachtung der menschlichen Gesellschaft in vorgefasste Raster gepresst.“ Bei der Sanktionierung einer gesellschaftlich nicht akzeptierten Meinungsäußerung, so Sarrazin, herrschten die „Gesetze einer vormodernen Stammesgesellschaft“.
Als Paradebeispiel für seine Behauptung führt Sarrazin sich selbst und die Debatte über seinen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ an. Über Dutzende Seiten zeichnet er die Debatte und seine Ausländer- und Integrations-Thesen nach. Der Inhalt seines Buches sei verkürzt, verdreht, verfälscht und absichtlich missverstanden worden. Ganz so, als hätte Sarrazin seine Ideen nicht in zahllosen Talkrunden ausbreiten dürfen; als hätten sich die Feuilletonisten der Republik nicht seitenlang mit Sarrazins Thesen auseinandergesetzt; und als hätte „Deutschland schafft sich ab“ keine monatelange politische Debatte ausgelöst, in der Sarrazin keineswegs nur abgemeiert worden wäre.
Hart geht Sarrazin jetzt mit dem ins Gericht, was er „die Sprache des Tugendterrors“ nennt. Und wie in der Debatte um sein erstes Buch, als er über ein angebliches „Juden-Gen“ räsonierte, wagt sich Sarrazin erneut an klebrige Vergleiche. Ein Beispiel: Die „völlig neu-trale Bezeichnung ,Neger’“ sei in den vergangenen Jahrzehnten bei uns „in Misskredit“ geraten, „bis hin zur Ablösung des ,Negerkusses’ durch den ,Schokokuss’“. Sarrazin glaubt: „Benennungen sind aber nur Benennungen, sie gestalten keine Wirklichkeit.“ Weiter kann man kaum daneben liegen. Dass Begriffe auch geprägt werden – durch die Art, wer sie wie benutzt, ist ihm wohl entgangen.
Um auch das zu sagen: Nicht jeder Gedanke in Sarrazins Buch ist so abwegig. Politische Korrektheit und Gutmenschentum sind Phänomene, die man hierzulande mit Recht anprangern kann – doch das gleiche gilt für die Art von Arroganz und Selbststilisierung, wie Sarrazin sie pflegt.