Essen. NS-Fahnder haben in mehreren Bundesländern Wohnräume von 14 mutmaßlichen SS-Wachmännern des Vernichtungslagers Auschwitz durchsucht und in Baden-Württemberg drei von ihnen verhaftet. Die drei Männer im Alter von 88 bis 94 Jahren seien in Untersuchungshaft.

Lage ist eine Kleinstadt am Teutoburger Wald. Es gibt ein Naturschutzgebiet und ein Bundesleistungszentrum des Sports. Seit Jahrzehnten hat hier ein 92-jähriger Geschäftsmann gelebt. In Frieden. Ungestört. Jetzt hat ihn seine Nazi-Vergangenheit eingeholt.

Fünf Ermittler vom Landeskriminalamt und Oberstaatsanwalt Andreas Brendel aus Dortmund standen vor seiner Haustür und durchsuchten schließlich seine Wohnung. Sie konnten dabei zwar keine Beweisstücke wie Orden, Urkunden oder alte Fotografien sichern. Aber der Mann gestand den Ermittlern am Ende: „Ja, ich habe 1942 als SS-Angehöriger im Konzentrationslager Auschwitz gearbeitet.“

Vorwurf: Beihilfe zum Massenmord

Die Behörden ermitteln gegen ihn wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord. Konkreter: zum Massenmord. 1,1 Millionen Juden wurden von 1942 bis 1945 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Die Justiz in Deutschland geht seit dem Frühjahr 2013 gezielt gegen 30 frühere KZ-Aufseher vor, nachdem der Sobibor-Wärter John Demjanjuk in einer wegen seines Todes nicht mehr rechtskräftig gewordenen Entscheidung wegen Beihilfe verurteilt worden war.

Deshalb waren nun die Ermittler nicht nur in NRW, sondern auch in Aschaffenburg und Coburg in Bayern unterwegs und auch an fünf Orten in Baden-Württemberg. Im Süden war ihre Gangart besonders forsch: Drei mutmaßliche Nazi-Täter – zwischen 88 und 94 Jahre alt – wurden in U-Haft genommen. In Freiburg stürmte das Einsatzkommando eine Wohnung.

Schwierige Ermittlungen

In NRW gab es vor einem Jahr fünf Verdächtige, die die Zentralstelle zur Ermittlung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in Ludwigsburg auf der Personalliste des Lagers Auschwitz gefunden hatte. Eine beschuldigte Frau und ein Mann sind seither verstorben. Bleiben, neben dem Mann aus Lage, zwei Hochbetagte im Visier der Dortmunder Staatsanwälte. Sie wohnen in Moers am Niederrhein und in Troisdorf.

Die Ermittlungen gegen die drei gehen weiter. Aber gegen Menschen dieses Alters zu ermitteln, ist schwierig, sagt Oberstaatsanwalt Brendel. Die mögliche Tat liegt 70 Jahre zurück. Er erklärt, dass es Hindernisse gibt.

Ermittlungen am Anfang

Verhandlungsunfähigkeit und Demenz der Verdächtigen sind gesundheitliche. Andere offene Fragen – zum Beispiel, ob der Beschuldigte vielleicht nur ein, zwei Tage in Auschwitz war, weil er als Kriegsverwundeter dort neu eingekleidet wurde und „nebenbei“ auf die Lagerliste geriet – stellen sich auch von der Beweisseite her. Außerdem: Auschwitz hatte 50 Außenlager. Nicht überall wurden Häftlinge planmäßig ermordet.

„Wir stehen erst am Anfang“, sagt Brendel. In Lage hätten die Fahnder den 92-Jährigen „recht fit“ vorgefunden. Er habe, nachdem er von den wieder aufgenommenen Ermittlungen erfahren hatte, wohl mit dem Kommen gerechnet. „Aber es gibt kein Schuldbewusstsein“, beklagt Brendel, der dieses Verhalten von vielen ehemaligen SS-Schergen kennt. Auch der Beschuldigte aus dem Lippischen behauptet, er sei nicht an Tötungen beteiligt gewesen.