Washington.

Mitte Januar bei einer Digitalkonferenz in München ließ sich Jan Koum bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte nicht das Geringste anmerken. Auf die Zukunft seiner heiß gehandelten Firma angesprochen, sagte der im Alter von 16 Jahren aus Kiew in der Ukraine nach Amerika ausgewanderte Internet-Unternehmer, dass „WhatsApp“ auf Jahrzehnte „unabhängig“ bleiben werde. Eine Aussage, die man seit Mittwochabend getrost in den Spam-Filter wegklicken kann.

Für die Rekordsumme von 19 Milliarden Dollar (14 Milliarden Euro) lässt sich der auf Werbung verzichtende Messenger-Dienst, den weltweit 450 Millionen Menschen für die jährliche Gebühr von rund einem Euro (oder Dollar) auf ihren Smartphones nutzen, um Nachrichten, Fotos und Videos zu verschicken, von Facebook schlucken.

Pro Tag eine Million Neukunden

Deren Chef, Mark Zuckerberg, hat sich damit einen zuletzt immer erfolgreicher gewordenen Teilnehmer auf dem weltweit umkämpften Markt um junge Handy-Nutzer einverleibt, im Wettbewerb der Internet-Giganten eine neue Runde eingeläutet und Großkonkurrenten wie Apple und Google unter Zugzwang gesetzt. Wenn die US-Wettbewerbshüter mitspielen, entsteht das weltweit größte Online-Netzwerk.

Nie zuvor hat Facebook so viel Geld für die Übernahme einer anderen Firma ausgegeben. Zum Vergleich: Für den Foto-Dienst Instagram zahlt Zuckerberg rund 720 Millionen Dollar. Im aktuellen Fall wird mehr als die doppelte Summe allein als Strafgebühr fällig, sollte der Mega-Deal scheitern.

Zuckerberg lieferte die Begründung für die Investition: „WhatsApp“ nähere sich dem weltweit getätigten SMS-Volumen aller Telekommunikations-Unternehmen zusammen, gewinne pro Tag eine Million Neukunden hinzu und sei auf dem Weg, schon sehr bald „eine Milliarde Menschen zu verbinden“. Dienste, die diese Wegmarke erreichen, schreibt Zuckerberg, seien „unglaublich wertvoll“. Zum Vergleich: Twitter kommt auf 240 Millionen Nutzer. In Deutschland nutzen zurzeit 30 Millionen „WhatsApp“.

Facebook selbst hat 1,2 Milliarden Kunden, litt aber zuletzt gerade unter jungen Handy-Nutzern an Bedeutungsverlust. Um das Image, cool zu sein, zurück zu erobern, hatte Zuckerberg im vergangenen Jahr versucht, den Messenger-Dienst „Snapchat“ zu kaufen. Dessen Alleinstellungsmerkmal zieht vor allem junge Smartphone-Nutzer an: Bilder oder Textmitteilungen werden nach wenigen Sekunden automatisch gelöscht. Die Snapchat-Gründer lehnten die Drei-Milliarden-Dollar-Offerte damals ab.

Auch im Fall Jan Koum, der 2009 mit seinem ebenfalls von Yahoo kommenden Mitstreiter Brian Acton „WhatsApp“ ins Leben rief, muss es nach Recherchen des Szene-Magazins Techcrunch in San Francisco ähnlich gewesen sein. Bereits 2012 sollen sie ein erstes Angebot von Zuckerberg abgewiesen haben. So erging es auch Konkurrent Google, der eine Milliarde Dollar für „WhatsApp“ auf den Tisch legen wollte.

Keine 14 Tage bis zum Abschluss

Diesmal dauerte es offenbar keine 14 Tage, bis das Geschäft unter Dach und Fach war. Laut New York Times waren Koum und Zuckerberg bereits seit zwei Jahren im Austausch. Vor zwei Wochen dann folgte das ernsthafte Angebot. Koum erbat sich Bedenkzeit. Ende vergangene Woche soll er bei Zuckerberg unangemeldet zur Abendessenszeit aufgeschlagen sein. Bei einer Portion Erdbeeren, die eigentlich für Zuckerbergs Gattin Priscilla bestimmt war, schreibt das Blatt, sei man sich handelseinig geworden. Pikant: Koum hatte zuletzt regelmäßig mit Seitenhieb-Charakter auf Facebook betont, dass „wir etwas aufbauen wollen, das nicht nur eine weitere Werbeplattform sein soll“.

Um das programmierte Stirnrunzeln einzugrenzen, beeilte sich der 38-Jährige mit der Bemerkung, dass sich für „WhatsApp“-Nutzer „nichts ändern“ werde. Ähnlich wie bei Instagram bleibe die Marke unter dem Dach von Facebook eigenständig. Koum selbst rückt in den Aufsichtsrat von Facebook vor. „WhatsApp“-Kunden dürften weiter uneingeschränkt darauf vertrauen, dass ihre „Kommunikation nicht durch Werbung unterbrochen wird“.

Weil „WhatsApp“ jedem Neukunden den Zugriff auf dessen Handy-Adressbuch abverlangt, birgt das Unternehmen für Facebook einen „ungeheuren Schatz an zusätzlichen Daten“, schreibt das Wall Street Journal. Und im Nachhinein, so die Experten von Techcrunch, wird die Bedeutung dessen klar, was Mark Zuckerberg aus Anlass des Firmenjubiläums von Facebook vor kurzem dem Sender NBC sagte: „Das Beste kommt erst noch.“