Rom. .

Nachdem ihm seine eigene Partei das Vertrauen entzogen hat, ist der sozialdemokratische Regierungschef von Italien, Enrico Letta, gestern formell von seinem Amt zurückgetreten. Sein Nachfolger, Parteichef Matteo Renzi, rechnet nun damit, unter Umständen schon am kommenden Dienstag vereidigt zu werden. Staatspräsident Giorgio Napolitano hat angekündigt, die in diesem Fall üblichen Beratungen mit den Parlamentskräften „so schnell wie möglich“ über die Bühne zu bringen. Die Parteien sind mit der Machtübergabe an Renzi im Prinzip einverstanden; unverzügliche Neuwahlen wurden am Freitag lediglich von der „Fünf-Sterne-Bewegung“ des früheren Komikers Beppe Grillo gefordert.

Der Sozialdemokrat Matteo Renzi, gerade einmal 39, hatte schon immer einen unbändigen Ehrgeiz. Er hat immer alle überholt. „Schon als er Ministrant war”, erinnert sich jetzt Matteo Renzis Heimatpfarrer in Rignano bei Florenz, „hat man gesehen, dass in ihm eine Nummer 1 steckt.” Für diese Rolle übte Renzi zuerst bei den Pfadfindern. „Ein Bluthund war er schon mit 16 Jahren“, erzählt heute einer seiner Wölflinge von damals, „der hat dich getriezt, und wenn du etwas falsch gemacht hast, hat er nicht locker gelassen, bis alles in Ordnung war.“

Begeistert von Amerika

Matteo Renzi stammt aus einer nicht nur frommen, sondern auch einer politisch aktiven Familie mit Sinn für Publizität. Der Vater, im Gemeinderat für die Democrazia Cristiana (linker Flügel), betrieb eine Gesellschaft für Zeitungskioske und -werbung; von seiner Mutter, die ihm abends im Bett von den Kennedys erzählte, hat Matteo die Begeisterung für ein „junges“ Amerika, die er sich bis heute, bis zu seinen Anleihen bei Barack Obama, behalten hat.

1996 begeistert sich Renzi für die „Olivenbaum“-Bewegung von Romano Prodi, steigt mit 24 Jahren zum örtlichen Vorsitzenden auf und wird mit 29 Jahren – als Jüngster in Italien – Präsident einer Provinz, also eine Art Landrat, in Florenz. Im Juni 2009 hat er seinen Wunschjob gefunden: Zuerst in Basiswahlen an den Parteiapparaten des Mitte-Links-Lagers vorbei, dann bei den Kommunalwahlen mit 60 Prozent Zustimmung, wird er Bürgermeister von Florenz. Sehr umtriebig, sehr pragmatisch, sehr bürgernah, dem Anschein nach beständig präsent, durch und durch unkonventionell, macht sich Renzi zum beliebtesten Stadtoberhaupt Italiens.

Das lässt ihn aber noch nicht ruhen. 2010 ruft Renzi zur radikalen Verjüngung der Politik im ganzen Land. Die alten Apparate und die trotz aller äußeren Wandlungen immergleichen Kader will er „verschrotten“. Er sammelt die jungen Intellektuellen bei den Sozialdemokraten und bedeutende Namen aus der Künstlerszene um sich, rollt mit „Big-Bang“-Veranstaltungen von Florenz aus die Partei auf und füllt – im Wohnmobil durch Italien reisend – Säle im ganzen Land.

2012 verlor er die parteiinternen „primaries“ um die Spitzenkandidatur gegen den Apparatschik Pier Luigi Bersani. Der aber versemmelte den Sieg bei der Parlamentswahl vor genau einem Jahr. Heraus kamen die prekären Verhältnisse einer Großen Koalition zwischen Enrico Letta und Silvio Berlusconi. Erst heute, im zweiten Anlauf, ist Renzi da, wo er hinwollte. Aber nicht gekrönt in allgemeinen Wahlen, sondern durch die Hintertür der Palastintrige – nach Mario Monti und Enrico Letta der dritte italienische Premierminister in wenig mehr als zwei Jahren und der Dritte in Folge, bei dem das Volk nichts mitzureden hatte.