Rom. Am 11. Februar 2013 trat Benedikt XVI. zurück. Ein Jahr später ist der emeritierte Papst ist mit sich im Reinen. Und sein Nachfolger schätzt seinen Rat. Papst Franziskus hat einmal gesagt, es sei schön, Benedikt in der Nähe zu haben - „wie einen Opa eben, den man immer um Rat fragen kann“.
Als Papst Benedikt der XVI. am 11. Februar 2013 kurz vor 11.30 Uhr einen lateinischen Text von einem Zettel abliest – ohne erkennbare Rührung, mit dünner, fast tonloser Stimme – ahnen im ersten Moment nur wenige, welche Sensation sich da anbahnt. Die Lateinkundigen unter den im Vatikan versammelten Kardinälen sind wie versteinert: Der Papst tritt zurück.
Benedikt, damals knapp 86 Jahre, hat also „nach wiederholter Gewissensprüfung vor Gott“ erklärt, infolge „vorgerückten Alters“ hätten seine körperlichen und geistigen Kräfte „derart abgenommen, dass ich mein Unvermögen erkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen.“
Aufgestaute Unzufriedenheit
Benedikts Amtsverzicht setzt eine ungeahnte Dynamik frei. In den Generaldebatten vor der eigentlichen Papstwahl reden sich die nach Rom angereisten Kardinäle die Köpfe heiß. Alle über Jahre aufgestaute Unzufriedenheit mit „dem Vatikan“ kommt da zur Sprache, der Ärger über eine intrigante, undurchschaubare, obrigkeitlich auftretende Kurie, über die peinlichen Enthüllungen der „Vatileaks“, über den Umgang mit den Missbrauchsskandalen, über verschleppte Kirchenreformen, über die dubiosen Geschäfte der Vatikanbank. Dass ein Aufbruch, eine neue Ära notwendig sei, darin sind sich die Kardinäle einig. Und am 13. März tritt Jorge Mario Bergoglio, Papst Franziskus, auf den Balkon des Petersdoms: „Brüder und Schwestern, guten Abend.“
Friedenstauben im Luftkampf
Und Benedikt? Der „emeritierte Papst”, wie er nach vatikanischem Protokoll heißt? Heute, ein Jahr nach seinem spektakulären Schritt, wohnt er in der geografischen Mitte des Vatikans, in jenem früheren Kloster, das er vorausschauend für seinen Ruhestand hat renovieren lassen; mitgenommen hat er jene vier Ordensschwestern, die ihn schon im Apostolischen Palast umsorgten, dazu seinen Privatsekretär, Georg Gänswein. Und der sagt: „Klar, Benedikt ist ein alter Herr, mit den Beschwerden, die 87 Lebensjahre halt so mit sich bringen, aber von kristallklarem Verstand. Und seit ihm das Amt nicht mehr auf die Schultern drückt, ist er wieder aufgeblüht.“
Vor allem aber, so hört man es an vielen Stellen, ist Benedikt mit sich im Reinen und mit seiner Rücktrittsentscheidung völlig zufrieden. „Er hört und sieht und liest viel”, erzählt ein Monsignore: „Er sieht den Umschwung, er macht sich so seine Gedanken. Aber er sagt immer, der Herrgott schickt zur richtigen Zeit eben den richtigen Papst.“
„Wie ein Opa, den man fragen kann“
Man weiß, dass der Alte und der Neue sich etliche Male freundschaftlich getroffen und miteinander gegessen haben; Franziskus hat einmal gesagt, es sei schön, Benedikt in der Nähe zu haben, „wie einen Opa eben, den man immer um Rat fragen kann“. Man weiß auch, dass Franziskus die eine oder andere ungeschützte Äußerung nach einer – durchaus erbetenen – Rückmeldung „aus dem Kloster“ theologisch zurechtgezupft hat.
Und man spekuliert wohl nicht ohne Grund, dass die beiden angesichts der vielen bevorstehenden Bischofsernennungen in Deutschland auch über dieses Terrain reden, das dem einen allzu, dem anderen rein gar nicht bekannt ist.
Die personelle Brücke bildet Erzbischof Gänswein, der weiterhin als „Präfekt des Päpstlichen Hauses“ tätig ist, den Franziskus aber aus seiner unmittelbaren Nähe weggeschoben hat: Gänswein organisiert als eine Art Protokollchef nur mehr die „großen“ Privataudienzen etwa für Staatsoberhäupter; in Franziskus‘ Büro hingegen hat Gänswein nichts mehr zu bestimmen.
Ansonsten, so erfährt man, hält der zurückgetretene Papst zwar im Prinzip an den täglichen Spaziergängen mit Rosenkranzgebet fest, die er an der Seite Gänsweins gewohnt ist, aber die Radien werden immer kürzer. So bleibt man eben zu Hause, und dort kann Benedikt, der – wie er vor einem Jahr sagte – „der Welt verborgen bleiben“ wollte, nicht darüber klagen, dass man ihn vergessen hätte.
An Besuchern herrscht kein Mangel: Bischöfe, Bayern, Theologen, alte Bekannte, wenn sie „sowieso gerade in Rom“ sind, schauen gerne im Kloster vorbei. Nur die wenigsten hängen das an die große Glocke. Und Benedikt gleich gar nicht.