Ankara.

Alle Proteste im Inland, alle Kritik aus dem Ausland haben nichts gefruchtet: Die türkische Regierung legt sich ein neues Instrumentarium zur Kontrolle des Internets zu. Ein in der Nacht zum Donnerstag vom Parlament in Ankara mit den Stimmen der Regierungspartei verabschiedetes Gesetz gibt der staatlichen Telekom-Regulierungsbehörde TIB die Befugnis, Internetseiten nach eigenem Gutdünken zu sperren. Bisher war das nur mit einem Gerichtsbeschluss möglich.

Das neue Gesetz verpflichtet Internetprovider überdies, die Verbindungsdaten ihrer Kunden bis zu zwei Jahre lang zu speichern und den staatlichen Stellen auf Anforderung zur Verfügung zu stellen. Damit kann die türkische Regierung künftig das Surfverhalten ihrer Bürger lückenlos überwachen. Beobachter sehen in dem Gesetz eine Reaktion Erdogans auf die Korruptionsenthüllungen, die vor allem im Internet verbreitet werden. Schon bei den Massenprotesten vom vergangenen Sommer war das Internet wichtigstes Kommunikationsmittel der Demonstranten, nachdem die meisten Massenmedien aus Angst vor Repressalien der Regierung über die Proteste kaum berichteten. Erdogan erklärte damals, soziale Medien wie Facebook und Twitter seien „die schlimmste Bedrohung der Gesellschaft“.

Erdogans regierende islamisch-konservative Gerechtigkeitspartei hatte den Gesetzentwurf eingebracht und damit begründet, es gelte die türkische Familie und Jugend vor Internetinhalten zu schützen, die zu Drogenabhängigkeit, sexuellem Missbrauch und Suizid führen.

Nachdem bereits in den vergangenen Wochen Zehntausende mit Slogans wie „Hände weg vom Internet“ gegen die Gesetzesänderung demonstriert hatten, war auch die Parlamentsdebatte von scharfen Kontroversen begleitet. Oppositionspolitiker sprachen von Zensur. Der Unternehmerverband erklärte, das Gesetz verstoße gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Während die Türkei privates Kapital im Telekom-Sektor benötige, schrecke das Internet-Gesetz Investoren ab.

Ohne jede rechtliche Einschränkung

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa kritisierte, mit dem neuen Gesetz könne die Telekom-Behörde TIB „Verbindungsdaten über alle Internetbenutzer ohne jede rechtliche Einschränkung sammeln“, während die Betroffenen „niemals erfahren, wann und wie diese Informationen zusammengetragen werden“.