Washington. .

Wenn Barack Obama Ende März zum Atom-Gipfel in die Niederlande reist, sind Sticheleien programmiert. Der US-Präsident will dort über 20 anderen Staats- und Regierungschefs Vorschläge für eine effektive Aufbewahrung nuklearen Materials und die Verhinderung von Atom-Terrorismus präsentieren. Sicherheitskreise in Washington rechnen mit unbequemen Gegenfragen: Wie sicher ist das Arsenal amerikanischer Interkontinental-Atomraketen?

Nach einer beispiellosen Pannenserie in der Geschichte der 1959 angelegten unterirdischen Abschusssilos in den menschenleeren Weiten zwischen Montana und South Dakota hat Verteidigungsminister Chuck Hagel jetzt die Reißleine gezogen. Auf sämtlichen Standorten, auf denen insgesamt 450 Minuteman-III-Raketen gelagert werden, die binnen einer Stunde jedes Ziel in 13 000 Kilometer Entfernung erreichen können, werden Moral und Arbeitsauffassung der Truppe durchleuchtet.

„Es gibt systematische Probleme“, sagte Deborah Lee James, die zivile Chefin der Airforce, vor Journalisten in Washington, „es hat sich ein Korpsgeist entwickelt, der Fehler vertuscht.“ Hagel fürchtet, dass die „strenge Kultur von höchstem Verantwortungsbewusstsein“ im sensibelsten Bereich der Streitkräfte Schaden genommen hat. Der Anlass:

Weil sie bei Leistungstests geschummelt haben oder davon wussten, sind mittlerweile 92 von 190 Soldaten auf der Malmstrom-Airforce-Base in Montana bis auf Weiteres suspendiert worden. Sie hatten sich per Textmitteilungen mit den passenden Antworten in routinemäßigen Tauglichkeits- und Wissenstests im Umgang mit den Atomwaffen versorgt. Der Schwindel war bei einer Untersuchung gegen Drogenmissbrauch auf der Raketenbasis aufgeflogen. Hier wird gegen 13 Militärangehörige ermittelt.

Für Hagel ist der Skandal besonders peinlich. Anfang Januar hatte er Atomraketen-Standorte in Wyoming und Nebraska besucht, nachdem erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der über den Einsatz von Massenvernichtungswaffen entscheidenden Abteilungen aufgekommen waren.

Auszüge aus der Pannenliste: 19 Offiziere in Minot (North-Dakota) verloren ihre Zulassung für den Umgang mit Atomwaffen. Sie waren bei Tests durchgefallen. In anderen Fällen standen explosionsgeschützte Stahl-Luken an den unterirdischen Kommandoständen offen; die letzten Hindernisse für potenzielle Eindringlinge. Im Herbst vergangenen Jahres musste Vize-General Tim Giardina, die Nr. 2 in der atomaren Befehlskette, gehen. Er war in einem Spielcasino mit gefälschten Chips erwischt worden. Ende 2013 zog die Airforce Michael Carey aus dem Verkehr. Der Generalmajor, einer der Top-Kommandeure der Nuklear-Division, hatte auf einer Dienstreise in Russland tief ins Wodka-Glas geschaut und sich mit käuflichen Damen eingelassen.

Vietnam-Veteran Chuck Hagel nahm die Soldaten bei seiner Visite ins Gebet - und glaubte an heilende Wirkung. „Was Sie tun, ist von größter Wichtigkeit für die Welt. Sie haben einen Beruf gewählt, in dem es keinen Platz für Fehler gibt - gar keinen.“ Inzwischen, so räumte sein Sprecher John Kirby ein, hat der Minister das Gefühl, das „wahre Ausmaß der Probleme“ noch nicht zu kennen. Er hat zwei pensionierte Militärs mit einer zusätzlichen Untersuchung beauftragt.

Der langweiligsteJob der Welt

Experten verweisen auf ein Dilemma. Die Arbeit auf den Atom-Standorten, die weit ab von jeder Zivilisation liegen, gilt als der „einsamste und langweiligste Job“, den die Luftwaffe zu vergeben hat. Wie „Grabwächter bei den Pharaonen im alten Ägypten“, so ein Fachmann der Denkfabrik CSIS, fühlten sich viele Soldaten. „De facto schlagen die Soldaten unter der Erde nur die Zeit tot“, sagte ein Veteran des Stützpunkts Minot im Gespräch mit dieser Zeitung, „sie gewinnen keine Schlachten, sie bekommen keinen Extra-Lohn für Kampfhandlungen und die Öffentlichkeit nimmt von ihnen kaum Notiz.“