Berlin. . Die USA ließen ab 2002 den damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) ausspähen. Der reagierte mit scharfer Kritik an den USA auf die Enthüllungen „Die USA haben keinen Respekt vor einem loyalen Bündnispartner und der Souveränität unseres Landes.“ Justizminister Heiko Maas warf dem US-Geheimdienst NSA willkürliche Massenüberwachung vor.

Die Kanzlerin hielt sich bedeckt. Berichte, dass der US-Geheimdienst NSA seit 2002 auch schon Telefongespräche ihres Vorgängers Gerhard Schröder abhörte, habe sie zur Kenntnis genommen, ließ Angela Merkel gestern wissen. Eigene Erkenntnisse habe die Regierung nicht.

Dafür ließ Schröder seinem Ärger freien Lauf: „Die USA haben keinen Respekt vor einem loyalen Bündnispartner und der Souveränität unseres Landes“, schimpfte der Altkanzler via „Bild“ und beklagte ein „ungeheures Misstrauen der Amerikaner“. Er habe ein solches Vorgehen der USA nicht für möglich gehalten. Das Telefon des Regierungschefs abzuhören, „geht zu weit“.

Eiszeit zwischen Berlin und Washington

Ähnlich reagierten auch Koalitionspolitiker auf die neue Wendung in der Spionageaffäre. Der CDU-Innenexperte Clemens Binninger warnte die USA vor einem wachsenden Vertrauensverlust, Justizminister Heiko Maas (SPD) beklagte willkürliche Massenüberwachung der NSA. Die Stimmung zwischen Berlin und Washington kühlt sich weiter ab.

Dabei kursierte der Verdacht, auch Schröder sei abgehört worden, schon länger. Neu ist der Hinweis auf ein Dokument, das aus dem Fundus von Edward Snowden stammt: Auf der „National Sigint Requirements List“ der NSA, der Liste der für die nationale Aufklärung zu überwachenden Personen und Einrichtungen, fand sich wohl früher auch Schröder unter der Nummer 388. In neueren Versionen dieser Liste steht unter 388 der Name der Kanzlerin und auch ihre Handy-Nummer (49173...). Der Auftrag 388 zum Abhören aber wurde, so ist es dokumentiert, 2002 erteilt, als Merkel noch CDU-Vorsitzende war. War sie damals schon im Visier der Spione?

Jetzt zitieren NDR und Süddeutsche Zeitung US-Regierungskreise und NSA-Quellen, nach denen dieser Abhörauftrag nicht der Person, sondern dem Amt galt – dem des Kanzlers, anfangs also Schröder. Gestützt wird diese Version vom Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, der in Kontakt mit NSA-Enthüller Snowden steht.

Schröders Nein zum Irakkrieg

Treffen die Angaben zu, dann hätte dieser Teil der Spionageaffäre seinen Anfang 2002 im Zerwürfnis zwischen US-Präsident George W. Bush und Gerhard Schröder gefunden: Das harte Nein der rot-grünen Bundesregierung zum Irak-Krieg, der im Frühjahr 2003 begann, hatte Bush tief verärgert. Verdächtig kamen ihm auch Schröders gute Beziehungen zu Wladimir Putin vor.

Bush wirft Schröder heute vor, damals einen Vertrauensbruch begangen zu haben, aus seiner Sicht wäre das wohl eine Rechtfertigung für Lauschaktionen: Schröder habe ihm bei einer Unterredung am 31. Januar 2002 die Unterstützung für den Irak-Krieg zugesagt („wenn Du es schnell und entschieden erledigst, bin ich dabei“) und sei später aus Wahlkampfgründen davon abgerückt.

Hemmschwelle der USA sinkt

Eine Lüge, kontert Schröder. Er habe nur Unterstützung zugesagt für den Fall, dass Irak ein Zufluchtsort der Al-Kaida-Terroristen sei wie Afghanistan – was bekanntlich nicht zutraf. Schröder hatte im Sommer 2002 vor der Bundestagswahl die Kriegspläne öffentlich kritisiert und sie später klar abgelehnt.

Was die NSA abgehört haben könnte, kann der Altkanzler nicht sagen, wichtige Gespräche habe er vom Kanzleramt aus geführt, nicht mit dem Handy. Doch ist die Lauschaktion nach Einschätzung deutscher Sicherheitskreise wohl auch damit zu erklären, dass die Hemmschwelle der Amerikaner gesunken war.

Ihr Misstrauen sei groß gewesen. „Deutschland wurde nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zum Aufklärungsziel Nummer eins“, hat auch der frühere NSA-Mitarbeiter Thomas Drake zu Protokoll gegeben. Weil einige der Todespiloten in Hamburg gelebt hätten, habe die US-Regierung den Deutschen nicht getraut. Sicherheitskreise gehen deshalb davon aus, dass damals auch andere Regierungsmitglieder abgehört wurden – wohl auch schon die CDU-Vorsitzende Merkel.