Düsseldorf. .
Wer direkte Demokratie will, kommt in NRW zu kurz. Während lokale Bürgerbegehren einen kleinen Boom erleben und soeben in Essen mit dem Votum gegen den Messe-Ausbau viel Aufsehen erregt haben, muss der Wähler auf Landesebene draußen bleiben. Zu hohe Hürden, kritisieren zahlreiche Experten, blockieren den Zugang zum Volksentscheid. Ein Fall für die Verfassungskommission des Landtags, die das „Grundgesetz“ des Landes nach 64 Jahren modernisieren will.
Anfang Februar soll das Arbeitsprogramm des Allparteien-Gremiums stehen. Bisher hat es elf Themen auf der Liste. Dass sich die direkte Demokratie in NRW in keiner guten Verfassung zeigt, ist Konsens. Erst ein einziges Mal führte ein Volksbegehren zum Erfolg, als 1978 die Einführung der Koop-Schule verhindert wurde. Zweimal blieb es beim Versuch. Ungewiss ist auch, wie das vorbereitete Begehren, das strikte Nichtraucherschutzgesetz wieder zu kippen, enden wird.
Kompromiss bei fünf Prozent
Bisher müssen mindestens acht Prozent oder 1,1 Millionen Wahlberechtigte unterschreiben, damit ein Volksbegehren in NRW zu Stande kommt. Lehnt es der Landtag dann ab, folgt ein Volksentscheid, dem mit 15 Prozent sogar fast doppelt so viele Wähler zustimmen müssten. Das gab es seit 1949 noch nie.
Das Feilschen um niedrigere Hürden dürfte die Kommission lange beschäftigen. Die Grünen wollen das Quorum für Volksbegehren auf zwei Prozent senken. Am Ende könnte ein Kompromiss bei fünf Prozent liegen. Die Fraktionen lassen sich nicht in die Karten schauen. „Jeder hat sein Lieblingsprojekt“, sagt Rainer Bovermann (SPD), der als Vorsitzender kein Stimmrecht hat. Man wird sich zusammenraufen müssen. Denn am Ende muss in jedem einzelnen Fall eine Zwei-Drittel-Mehrheit stehen.
In sechs Jahrzehnten hat sich die Landesverfassung insgesamt bewährt. „Sie ist sehr stabil“, sagt der frühere NRW-Justizminister Jochen Dieckmann, der die SPD als Sachverständiger berät. Nur 20 Mal mussten die Paragrafen geändert werden – zuletzt 2011, als der rot-schwarz-grüne Schulfrieden und die Sekundarschule verankert wurden. Trotz aller Differenzen mahnt deshalb CDU-Fraktionsgeschäftsführer Lutz Lienenkämper, die Reformarbeit „behutsam“ anzugehen. Die Verfassung verträgt keine Brechstange.
Die CDU hat die Schuldenbremse als wichtigstes Vorhaben auf ihrer Agenda. Längst moniert der Rechnungshof, dass sie noch nicht in der NRW-Verfassung steht. Doch während CDU und FDP ein Neuverschuldungsverbot bis 2020 nach Vorbild des Bundes bevorzugen, wollen SPD und Grüne zusätzlich festschreiben, dass die Schuldenbremse des Landes nicht auf Kosten der Kommunen geht. Auch bei anderen Themen zeichnen sich Kontroversen ab.
Wahlrecht ab 16
Beispiel Wahlen: Jugendliche in NRW sollen nach dem Willen von SPD, Grünen und Piraten schon mit 16 Jahren den Landtag wählen dürfen. CDU und FDP sind dagegen. Beraten wird auch, ob EU-Ausländer das Wahlrecht auf Landesebene erhalten. Bis jetzt dürfen sie nur kommunal abstimmen.
Beispiel Landtag: NRW ist das einzige von 16 Ländern, wo der Ministerpräsident dem Parlament angehören muss. Der Landtag wählt den Regierungschef – so der Verfassungstext – „aus seiner Mitte“. Der Vorschlag der Grünen, das Amt für Externe zu öffnen, hat kaum Aussicht auf Erfolg.
Spätestens Ende 2015, so Bovermann, will man fertig sein. Dann muss das Änderungspaket dem Landtag vorgelegt werden. Ob danach auch die Bürger in einem Referendum über die neue Landesverfassung abstimmen, wird noch entschieden. Aber auch dazu müsste erst einmal die Verfassung angepasst werden.