Berlin. Angela Merkels Regierungserklärung reißt nicht einmal die Koalitionäre mit. Zu viel Routine, zu wenig Aufbruch. Einigkeit herrschte nur bei den Genesungswünschen. Die Opposition, der nur 41 Minuten Redezeit bleiben, arbeitet sich vor allem an den Sozialdemokraten ab.

Nur einmal gibt es richtig herzlichen Applaus für die Kanzlerin. Angela Merkel hat ihre Regierungserklärung schon beendet, ist von ihrem Stuhl am Rednerpult auf Krücken die paar Schritte zur Regierungsbank zurückgehumpelt, da wünscht ihr Bundestagspräsident Norbert Lammert im Namen des Hohen Hauses „baldige und vollständige Genesung.“ Kräftiger Beifall im Parlament, sogar von Linken und Grünen. Was für ein bitterer Kontrast zu den genau 60 Minuten davor: Merkels dritte Regierungserklärung, die sie wegen ihrer Beckenverletzung im Sitzen vorträgt, ist offenkundig auch für die Koalitionäre keine Aufbruch-Rede.

Das lässt vor allem die SPD die Kanzlerin spüren: Viele Sozialdemokraten verfolgen Merkels Erklärung teilnahmslos, selbst zum spärlichen Schlussapplaus bequemt sich nur die SPD-Fraktionsspitze in den ersten beiden Reihen. Dahinter rührt sich bei den Genossen kaum eine Hand. Und auch in der Union bekommt Merkel auf weiten Strecken nur kurzen Pflichtbeifall für eine insgesamt umambitionierte Rede.

Deutliche Kritik an Amerika

Dabei hat die Kanzlerin durchaus Bemerkenswertes zu sagen. Noch nie hat sie die USA in der Ausspähaffäre so deutlich kritisiert wie jetzt. Sie spricht von einer „Enttäuschung“ und warnt die USA, der Zweck heilige nicht alle Mittel: Wer alles mache, was technisch möglich sei, wer Verbündete selbst vor Gipfeltreffen ausspioniere, „verletzt Vertrauen und sät Misstrauen“, sagt die Kanzlerin. „Am Ende gibt es nicht mehr, sondern weniger Sicherheit.“ Merkel bekräftigt die Hoffnung auf ein Anti-Spionage-Abkommen mit den USA, dem in Washington nicht mehr viel Chancen gegeben werden, sie räumt aber ein, dass sie „keinen Hebel hat, um die USA zwingen zu können.“ Es bleibe nur die Kraft der Argumente. Und der Wunsch, dass das Internet „eine Verheißung bleibt“.

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Dass Merkel sich gerade bei diesem Thema, das im Koalitionsvertrag nur am Rande erwähnt ist, so engagiert, ist wohl kein Zufall: Was wirklich zählt für sie, steht nicht in der Vereinbarung von Union und SPD, sondern fällt unters Kanzlerin-Geschäft. Das gilt auch für die Euro-Krise, bei der Merkel von einer „trügerischen Ruhe“ spricht und Reformen der EU-Verträge verlangt. Was aber die von Union und SPD vereinbarte Regierungspolitik anbelangt, belässt es Merkel eher bei einem Routine-Vortrag. Schon ihre ersten beiden Regierungserklärungen waren nüchtern, aber 2005 wollte sie immerhin noch „Mehr Freiheit wagen“, 2009 „Deutschland zu neuer Stärke führen“. Jetzt sagt Merkel, Deutschland gehe es so gut wie lange nicht - ihre Regierung wolle „den Menschen in den Mittelpunkt stellen“, der Kompass sei die soziale Marktwirtschaft.

Nur 41 Minuten Redezeit für die Opposition

So arbeitet Merkel den Koalitionsvertrag ab, von der Energiewende (“Herkulesaufgabe“) bis zur Rente (“Menschlichkeit“). Wo es heikel wird, etwa bei künftigen Bundeswehr-Einsätzen, bleibt sie vage. Trägt Merkel ein von der Union durchgesetztes Projekt vor, klatschen sie nur bei der CDU/CSU, kündigt sie SPD-Wünsche an, gibt es Applaus allein der Sozialdemokraten. Die emotionale Kluft zwischen den Koalitionären ist noch tief. In diese Kerbe schlägt die Opposition, die in der zweieinhalbstündigen Aussprache nur 41 Minuten Redezeit hat. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter beklagt erst „ekelhaften Populismus“ der CSU in der Zuwanderungspolitik, um dann zu fragen, wie die SPD mit dieser Union Politik machen könne.

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi ärgert die SPD mit der Klage, die Koalition setze im Kern die Politik von Schwarz-Gelb fort - „ungerecht und an den Realitäten vorbei“. Mit der Kanzlerin indes hat der 66-Jährige auch etwas Mitleid: „Ich hatte letztes Jahr auch einen Skiunfall“, sagt Gysi zur Verletzung der 59-jährigen Merkel, „wir müssen einfach beide lernen, altersgerecht Sport zu treiben.“