Berlin. .

Angesichts der Forderungen nach Mindestlohn-Ausnahmen für bestimmte Branchen warnt die Hans-Böckler-Stiftung vor dem Entstehen eines neuen Niedriglohnsektors.

Würde die Bundesregierung den Forderungen von Politikern und Arbeitgeberverbänden nachgeben, erhielten zwei Millionen Niedriglohn-Beschäftigte keinen Mindestlohn, wie eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Stiftung ergab. Der Mindestlohn würde zum „Schweizer Käse“, warnten die Forscher.

Derzeit verdienen gut fünf Millionen Beschäftigte in Deutschland weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Nach den Plänen der Großen Koalition soll ab 2015 in Deutschland ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn gelten.

Die Forscher berechneten, wie viele Menschen mit einem Arbeitsverhältnis – also ohne Praktikanten oder Auszubildende – von solchen Ausnahmen betroffen wären. Das Ergebnis: Im Jahr 2012 lag der Stundenlohn von rund 5,25 Millionen Beschäftigten unterhalb von 8,50 Euro. Gälte der Mindestlohn nicht für Minijobber, Rentner, Schüler, Studenten und hinzuverdienende Arbeitslose, gingen zwei Millionen oder 37 Prozent der Geringverdiener leer aus. Ohne Ausnahmen für Minijobber wäre es immer noch fast ein Viertel.

Damit würde der allgemeine Mindestlohn systematisch unterlaufen und ein neuer, eigener Niedriglohnsektor geschaffen, warnt der Leiter des WSI, Reinhard Bispinck. Die Ausgrenzung ganzer Arbeitnehmergruppen würde den eigentlichen Zweck der Regelung hintertreiben, nämlich den Schutz aller abhängig Beschäftigten. Laut einer Expertise des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages könnten Ausnahmeregelungen sogar gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz verstoßen.

Zu ganz anderen Ergebnissen kommt Wirtschaftsprofessor Christoph Schmidt. Demnach könnte der gesetzliche Mindestlohn mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze kosten. „Es dürften auf lange Sicht einige 100 000 Stellen im Niedriglohnbereich wegfallen oder in die Schattenwirtschaft abwandern, wenn es rasch und ohne Differenzierung zu Mindestlöhnen von 8,50 Euro pro Stunde kommt“, sagte Schmidt der „Wirtschaftswoche“.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte dagegen, vom Mindestlohn dürfe es keine Ausnahmen geben.