Essen. . Die Essener Bürger haben dem Ausbau der Messe Essen eine Absage erteilt. Nun tobt ein Streit um Sinn oder Unsinn der direkten Demokratie. Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte hält diese Abstimmungen sogar für riskant. Denn am Ende würden die Wohlhabenden und Gebildeten allen anderen ihren Willen aufzwingen.
Der Bürgerentscheid in Essen gegen den Messe-Umbau schlägt hohe Wellen. In den Rathäusern geht die Frage um, ob noch Großprojekte gestemmt werden können, wenn die Bürger sie leicht kippen können. Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) sagte, man müsse die Frage beantworten, „wo Bürgerentscheide ihre Grenze“ haben.
Sein Dortmunder Amtskollege Ullrich Sierau (SPD) meint, Großprojekte könnten dem Bürger durchaus erklärt werden. Seine Stadt habe zum Beispiel das Thier-Einkaufszentrum ohne großen Protest ansiedeln können. „Wir pflegen seit vielen Jahren eine große Transparenz, wenn es um Planungen geht. Wir versuchen, alle Beteiligten und Interessierten im Vorfeld anzusprechen und zu informieren.“ So komme es gar nicht erst zu Bürgerentscheiden.
Der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte hält den Trend zu direkter Demokratie für gefährlich: „Die Abstimmungen verhindern, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt.“ Wenn nichts passiere, „dann geht es allen im wettbewerbsorientierten Wohlfahrtsstaat schlechter“. Zudem, so Korte, beteiligten sich vor allem Eliten. Das Ergebnis sei oft sozial ungerecht.
Die Bürger misstrauen den Leuchtturm-Projekten
Der Politologe Frank Decker (Uni Bonn) widerspricht: „Die direkte Demokratie zwingt Politiker, auf die Menschen zuzugehen.“ Das Votum in Essen käme nicht zufällig: „Viele Bürger glauben, dass die Verschuldung der Städte auch darauf zurückzuführen ist, dass die Politik zu teuren Leuchtturm-Projekten neigt.“
Die Düsseldorfer Messe bietet der Essener Messe nach dem Bürgervotum Hilfe an. „Die Essener können auf unserem Gelände Messen veranstalten, wenn sie Probleme haben“, sagte Geschäftsführer Werner Dornscheidt. Er versprach: „Wir werden Essen keine Messen abnehmen und auch nichts von dort akquirieren.“
Zahl der Bürgerentscheide hat sich verdoppelt
Die direkte Demokratie ist in NRW auf dem Vormarsch. 2013 gab es 20 Bürgerentscheide, doppelt so viele wie 2012, so der Verein „Mehr Demokratie“. Das wachsende Interesse begründet der Verein mit dem vom Landtag erweiterten Themenkatalog. So dürfe heute auch über Belange der Bauleitplanung abgestimmt werden. Zudem wurde der früher verlangte Kostendeckungsvorschlag für Projekte abgeschafft. Damit seien Antragsteller oft überfordert gewesen. Jetzt muss die Verwaltung die Kosten kalkulieren. Einen „Boom“ registriert „Mehr Demokratie“ bei Schulthemen.
Künftig sollen auch die Hürden für landesweite Volksentscheide gesenkt werden. Um diese durchzusetzen, müssen 8 Prozent der Wahlberechtigten, also rund 1,1 Millionen Bürger, unterschreiben. Eine Allparteien-Kommission im Landtag erarbeitet derzeit Vorschläge für ein niedrigeres Quorum. Nur einmal, 1978 mit der Ablehnung der Koop-Schule, führte ein Volksbegehren in NRW zum Erfolg.