Istanbul. .

Der Versuch des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan, die Justiz mit einer Gesetzesänderung stärker unter Kontrolle der Regierung zu bringen, stößt auf erbitterten Widerstand. Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) bezeichnete die Pläne als verfassungswidrig. Im Parlament kam es bei der Beratung des Gesetzentwurfs zu einer Schlägerei. In Ankara forderten zehntausende Demonstranten den Rücktritt Erdogans.

Die Wellen der Erregung schlugen hoch im türkischen Parlament, als am Samstag der Justizausschuss über einen Gesetzentwurf der islamisch-konservativen Regierungspartei beraten sollte, mit dem sich die Regierung mehr Einfluss auf die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten verschaffen will. Als bei den Ausschussberatungen ein Vertreter des Juristenverbandes versuchte, eine Petition einzubringen, mit der die Änderungen als verfassungswidrig bezeichnet werden, brachen heftige Tumulte aus. Regierungs- und Oppositionsabgeordnete gingen mit Fußtritten und Faustschlägen aufeinander los, es flogen Aktenordner, Wasserflaschen und ein Tablet-Computer.

Erdogan hatte die Korruptionsermittlungen, die sich auch gegen vier inzwischen ausgewechselte Minister richten, als „Komplott“ und „Staatsstreich der Justiz“ bezeichnet. Hunderte Polizeibeamte, die an den Ermittlungen beteiligt waren, wurden bereits strafversetzt. Ein Staatsanwalt, der auch gegen einen Sohn Erdogans wegen des Verdachts der Korruption ermittelte, wurde kaltgestellt. Mit dem neuen Gesetz will Erdogan die Justiz an die Kandare nehmen. „Dies ist der erste Nagel im Sarg der Demokratie“, kommentierte die Zeitung „Hürriyet“.

Die Europäische Union und die USA mahnten die Türkei, die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren und eine unparteiische Aufklärung der Korruptionsvorwürfe zu gewährleisten. Die Pläne stoßen allerdings auch in den eigenen Reihen auf Skepsis. Parlamentspräsident Cemil Cicek sagte, der Justizausschuss müsse vor allem prüfen, ob der Gesetzentwurf verfassungskonform sei.

In Ankara demonstrierten 20 000 Menschen gegen die Regierung, die sie in Sprechchören als „Diebe“ bezeichneten. Die Korruptionsaffäre beginnt sich auch in den Meinungsumfragen niederzuschlagen: Während die Regierungspartei vor Bekanntwerden der Vorwürfe bei rund 50 Prozent rangierte, liegt sie aktuell nur noch bei 42,3 Prozent.