Berlin. .

Auf den ersten Blick scheint die Frage der Armutszuwanderung klar geregelt zu sein: „Es gibt in der EU ein Recht auf Freizügigkeit, aber kein Recht auf Einwanderung in die nationalen Sozialsysteme“, so EU-Justizkommissarin Viviane Reding. „Nur arbeitende EU-Bürger haben ein Recht auf Sozialleistungen.“ Darauf beruft sich auch die Bundesregierung. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht – in Deutschland streiten inzwischen die Gerichte.

Die Fakten: Nach europäischem Recht kann sich jeder EU-Bürger bis zu drei Monaten problemlos in einem anderen EU-Staat aufhalten. Länger bleiben darf er nur, wenn er Arbeit hat oder sucht, ein Gewerbe ausübt oder über genug Geld verfügt, dass er keine Sozialhilfeleistung in Anspruch nimmt.

Die deutsche Gesetzgebung konkretisiert: In den ersten drei Monaten haben EU-Zuwanderer hierzulande zwar bereits Anspruch auf Kindergeld, aber generell nicht auf Hartz IV. Und auch nach den drei Monaten besteht ein Anspruch auf Hartz IV in der Regel nur für Arbeitnehmer oder Selbstständige. Wer nach den ersten drei Monaten nicht arbeitet und Sozialhilfe beantragt, muss damit rechnen, dass seine Aufenthaltserlaubnis erlischt.

Die restriktiven Regelungen sollen verhindern, dass die Sozialleistungen von Ausländern übermäßig in Anspruch genommen würden, erklärt das Sozialministerin in Berlin. Allerdings ist der Staat verpflichtet, in solchen Fällen zumindest das Existenzminimum zu sichern – oder die Rückreise ins Heimatland zu finanzieren – was selten geschieht.

Indes gibt es in Deutschland ein Spezialproblem: Ob der generelle Ausschluss vom Hartz-IV-Bezug und anderen Leistungen der Jobcenter vom EU-Recht gedeckt ist, ist umstritten. Deutsche Sozialgerichte haben solche Fälle sehr unterschiedlich bewertet. Das niedersächsische Landessozialgericht hat den Leistungsausschluss vor wenigen Monaten bestätigt. Das Landessozialgericht NRW hat dagegen andersherum entschieden. „Wir brauchen einfach eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes“, sagt die Vorsitzende des Sozialgerichtstags, Monika Paulat.

Wie wird der Gerichtshof entscheiden? Im September 2013 hatten die Luxemburger Richter geurteilt, die EU-Richtlinie schließe eine unangemessene Inanspruchnahme von Sozialleistungen aus. Aber: Leistungen dürften nicht automatisch ausgeschlossen werden – die Behörden müssten unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prüfen, ob die Gewährung einer Sozialleistung eine Belastung für das gesamte Sozialsystem sei.

Der Tenor ähnelt dem der aktuellen Stellungnahme der EU-Kommission zur deutschen Praxis. Der erfolgreiche Kläger war in diesem Fall aber kein Zuwanderer aus Südeuropa, sondern ein deutscher Rentner, der nach Österreich gezogen war und dort zu seiner Rente ergänzende Sozialhilfe beantragte.