Berlin..
Überraschende Wende in der Debatte um Armutszuwanderer in Deutschland: Die EU-Kommission erwartet einen besseren Zugang für EU-Bürger zu Hartz-IV-Leistungen in Deutschland, hält die bisherige Praxis für unvereinbar mit EU-Recht.
In der Koalition stößt das Plädoyer aber auf massiven Widerspruch – die Bundesregierung geht auf Konfrontationskurs und will die EU-Regierungschefs einschalten, die CSU spricht von „eurokratischem Wahnsinn“.
Die unerwartete Kritik äußerte die Kommission in einer Stellungnahme zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der Fall: Eine seit vier Jahren in Leipzig lebende Rumänin, die nicht gearbeitet hat, erhielt zwar Kindergeld und Unterhaltsvorschuss für ihren Sohn – ihr Antrag auf Hartz-IV-Leistungen wurde aber abgelehnt. Sie klagte, das Sozialgericht Leipzig rief den EuGH an. Die EU-Kommission erklärte nun, der generelle Ausschluss von Hartz-IV-Leistungen für EU-Bürger, die weder Arbeitnehmer noch Selbstständige sind, sei mit dem europäischen Recht nicht vereinbar. Wenn der Gerichtshof dem folgen sollte, müssten die deutschen Behörden künftig in jedem Einzelfall prüfen, ob auch Zuwanderer ohne Arbeitsabsicht unter Umständen Hartz IV beziehen können. Bislang gilt nach Angaben der Regierung, dass in den ersten drei Monaten keine Hartz-IV-Leistungen gezahlt werden und danach nur, wenn der Zweck des Aufenthalts allein die Arbeitssuche ist. Erst nach fünf Jahren rechtmäßigem Aufenthalt besteht das Recht auf Sozialhilfe wie bei deutschen Bürgern.
Nach ersten Protesten der Regierung versicherte die Kommission, sie dränge keineswegs darauf, an „wirtschaftlich inaktive EU-Bürger Sozialleistungen“ schon in den ersten drei Monaten zu zahlen. Doch in Brüssel wird auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs verwiesen, das eine Verweigerung von Sozialleistungen an EU-Ausländer an die Bedingung einer „unangemessenen Belastung“ für die Sozialsysteme knüpfte.
Vor allem die CSU, die die Zuwanderungsdebatte entfacht hatte, reagierte empört und sprach von einer „brandgefährlichen“ Position der Kommission. Sie torpediere mit ihrer „fatalen“ Stellungnahme leichtfertig nationale Sicherungssysteme, erklärte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.
Die Bundesregierung zeigte sich überrascht.