Berlin/Hagen. .
Knifflige Streitpunkte, schwammige Formulierungen im Koalitionsvertrag, Profilierungsversuche auf allen Seiten – es gibt genug Gründe, warum Schwarz-Rot eine Koalition der kleinen Lösungen sein wird. Doch noch ein Umstand wird den Tatendrang in der Hauptstadt kräftig bremsen: Die Koalition regiert im (fast) pausenlosen Wahlkampf. Und hat wohl nur ein Jahr, um ihre Projekte durchzusetzen.
Damit ist ein schneller Start schon nicht mehr möglich.
Gut drei Monate der vier Jahre, die Merkel, Gabriel und ihrer Mannschaft zur Verfügung stehen, sind heute bereits um – nie dauerte es nach einer Bundestagswahl so lange, bis die Regierung stand. Nun könnte man also endlich anfangen mit dem Regieren – wenn da nicht der 25. Mai wäre.
An diesem Tag, in knapp fünf Monaten also, wählt Europa ein neues Parlament. Und weil die Politik und die Bürokratie in Straßburg und Brüssel immer öfter und drängender in die nationale Gesetzgebung hineinregiert, ist die Europawahl längst mehr als die „Testwahl“ früherer Jahre.
Hinzu kommt, dass diesmal der siegreiche Spitzenkandidat von Konservativen oder Sozialisten beste Chancen hat, neuer Kommissionspräsident zu werden – und damit Schulter an Schulter mit den Merkels, Hollands und Camerons steht. Sehr unwahrscheinlich also, dass Schwarz-Rot im Vorfeld des wichtigen Wahltags strittige oder gar unpopuläre Entscheidungen angeht – zumal am selben Tag in gleich zehn (!) Bundesländern neue Stadträte und Kreistage gewählt werden, darunter in so wichtigen Ländern wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
Hat Europa gewählt, geht das politische Berlin nahtlos in die Sommerpause – um gleich danach mit drei Landtagswahlen durchzustarten: in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Hier stehen nach Lage der Dinge vor allem für die SPD schwierige Abstimmungen an, rot-rote Bündnisse nicht ausgeschlossen. Die sind bei großen Teilen der SPD-Basis neuerdings sehr beliebt. Doch gleichzeitig muss die SPD-Spitze die CDU bei Laune halten. Also: Umstrittene Pläne besser in der Schublade lassen.
Damit wäre das erste schwarz-rote Jahr um.
Wenn sich die Koalition wirklich zu wichtigen Weichenstellungen durchringen will, muss dies im Jahr 2015 geschehen. Die beiden Wahlen für die Hamburger und die Bremer Bürgerschaften im Frühjahr dürften keine großen politischen Auswirkungen haben. Sicher ist aber selbst das nicht.
Trotzdem: Gut möglich, dass das Zeitfenster für zentrale schwarz-rote Gesetze bis Anfang 2016 geöffnet bleibt – dann beginnen jedoch schon die Wahlkämpfe für die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. Allesamt wichtige Urnengänge, nicht nur weil im Südwesten die einzige grün-rote Koalition zur Wiederwahl steht. Und gleich nach der folgenden Sommerpause wird in der prestigeträchtigen Hauptstadt das Abgeordnetenhaus neu gewählt.
Drei der vier schwarz-roten Jahre sind damit um.
Kommt nun der große Endspurt? Unwahrscheinlich. Denn im Frühjahr 2017 steht die wichtige Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an, also im bevölkerungsstärksten Bundesland, das schon oft Vorreiter spielte für neue Koalitionen im Bund. Und weil im Frühjahr nebenbei auch die Wähler in Schleswig-Holstein und im Saarland über neue Landtage abstimmen, dürfte in Berlin die Lust auf waghalsige Entscheidungen in der ersten Jahreshälfte gegen Null tendieren.
Danach ist sowieso Schluss mit Regieren.
Denn im Herbst 2017 steht die Bundestagswahl auf der Agenda. Und man wird sich wundern, wie schnell doch vier Jahre vergehen.