Essen. Nach dem schweren Ski-Unfall des Ex-Rennfahrers stellt sich die Frage nach der Schuld. Trägt sie der Fahrer, der Pistenbetreiber oder der Ski-Verleiher? Offenbar waren an dem nicht präparierten Streckenabschnitt, an dem Schumacher stürzte, keine Warnhinweise aufgestellt. So oder so wird der spektakuläre Unfall die Wirklichkeit auf den Alpenpisten verändern. Ein Essay.

Wer ist schuld? Darf man nach den Ursachen, nach der Verantwortung für den tragischen Unfall Michael Schumachers, den viele als einen Nationalhelden verehren (und den andere genau darum ablehnen) fragen, während dieser Mensch in Grenoble noch um sein Leben kämpft? Verletzt das nicht den jetzt gebotenen Anstand?

Nein, das tut es nicht. Schumacher ist sehr prominent und sehr reich. Ganz gleich, wie es dem Menschen Schumacher ergeht. Dem Jungen aus dem, gäbe es seinen berühmtesten Sohn nicht, kaum erwähnenswerten Kerpen in Nordrhein-Westfalen. Dem „Schumi“, der es mit seinen sagenhaften Willen und seiner ausgeprägten Rücksichtslosigkeit ganz nach oben schaffte, der es zu einer Villa am Genfer Seeufer brachte und zu einem Traumholzhaus in den südfranzösischen Alpen.

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Es läuft, mindestens, auf einen Schadensersatzprozess zu. Mehr noch – auf eine große Debatte: um Freiheit und ihre Grenzen. Um staatliche Regulierung und ihren Sinn. Und noch sind viele Fragen offen.

Offenbar fehlten Warnhinweise an der Strecke

Eigentlich ist die Angelegenheit Schumacher eindeutig. Wer außerhalb einer Piste Ski fährt, ist selbst verantwortlich für die Folgen. Darauf weisen die Pistenbetreiber auch hin. Nur: Was ist das, außerhalb einer Piste fahren? Schumacher hat sich nicht ins freie Gelände begeben, er hat nicht das Pistenareal von Meribel verlassen, um mitten durch den Wald zu fahren oder eben dort, wo die Abfahrt grundsätzlich verboten gewesen wäre. Er stürzte auf einem überschaubar kleinen Areal zwischen zwei präparierten Pisten. Diese Fläche war zwar nicht präpariert, aber tags zuvor hatte es geschneit und die meisten der Felsenstücke, die Schumacher zum Verhängnis wurden, waren nicht sichtbar.

Frage also: Wo hört die Eigenverantwortung des Skifahrers Schumacher auf und wo fängt die Verantwortung des Pistenbetreibers von Meribel an, seine Kunden vor Gefahren zu schützen? Die Risikozone – nicht sichtbare Felsen unter einer nur wenige Zentimeter dicken Schneeschicht – war offenkundig nicht mit Warnhinweisen versehen. In anderen Skigebieten, gab es zur selben Zeit bei vergleichbaren Wetterbedingungen gelb-schwarze Warnkreuze vor jeder Gefahrenzone, auch solchen, die bei wenig Schnee auf den Pisten selbst auftauchen können. Hätte Meribel solche Warnschilder aufstellen müssen? Reicht es wirklich als Warnung aus, bestimmte Pistenteile zu präparieren und andere eben nicht?

Unfall könnte die Wirklichkeit auf den Pisten beeinflussen

Der Fall des thüringischen Ministerpräsidenten Althaus, der die slowakische Skifahrerin Beata Christandl zu Tode fuhr, veränderte die Wirklichkeit auf den Alpenpisten. Heute fahren die meisten Menschen mit Helm, es gibt eine eigene Helm-Mode, und wer auf den Kopfschutz verzichtet, ist nicht mehr cool, sondern alt. Auch der spektakuläre Fall Schumachers wird das Ur­laubsleben auf den Abfahrten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich verändern. Offen ist wie.

Wird es regelrechte Fahrverbotszonen geben, die glasklar ausgewiesen sind und bei deren Übertreten der Skifahrer ein happiges Bußgeld riskiert? Heute fährt geschätzt jeder Vierte regelwidrig. Die Fahrten ins Gelände haben in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen, auch Dank fortschrittlicher Skitechnik, die auch Nicht-Profis das Abenteuer Tiefschneezone erlaubt.

Helmpflicht für Skifahrer?

Kommt es zu einer Geschwindigkeitsbegrenzung für Hobby-Abfahrtsläufer? Oder zu einer Helmpflicht, so wie es beim Autofahrern eine Gurtpflicht gibt? Wird es ei­nen Skiführerschein geben, schließlich: Weshalb muss man zum Autofahren einen Könnens-Nachweis ablegen, zum Skifahren aber nicht, obwohl man dort auch seine Mitmenschen in Gefahr bringen kann? Auch über den (bei vielen Skifahrern üblichen) Alkoholgenuss wird man wieder einmal diskutieren, obwohl das bei Schumacher wohl keine Rolle spielte.

Weiter beim Thema Verantwortung: Schumacher fuhr auf Leih-Ski. War die Bindung richtig eingestellt, löste sie zu früh aus oder zu spät? Trifft also den Ski-Verleiher eine Mitschuld am Schicksal seines Kunden Schumacher? Ist das überhaupt zu rekonstruieren?

Menschen laufen Ski. Skiläufer fahren, wo sie nicht sollten. Sie nehmen sich diese Freiheit einfach. Es ist die mal kleine, mal große Überschreitung von Grenzen, die ein reguliertes Leben setzt. Und es sicher macht. Und langweilig. Deshalb denken Grenzüberschreiter nicht an die möglichen Folgen. Sie verdrängen sie und genießen ihr persönliches Stück Ungehorsam. Spaziergänger laufen auch mal über rote Ampeln. Bei Skiläufern geht es meistens gut. Bei Rotampelgängern auch. Geht es nicht gut aus, ist das Opfer dann auch noch ein Star, wird unausweichlich über die Spielregeln debattiert. Am Ende steht vielleicht mehr Vernunft, aber auch weniger persönliche Freiheit, auch die, sich selbst in Gefahr zu bringen.

Ski-UnfallEin Fall menschlichen Versagens

Jeden Tag stirbt in den Alpen ein Mensch. In den allermeisten Fällen wegen eigenen oder eines Anderen Versagens. So ist es auch im Straßenverkehr. Nur ist, hier wie dort, nicht immer eindeutig klar, welcher Mensch versagt hat. Und dann ist ein Richter ja auch keine Maschine, sondern ein Mensch. So wird es auch sein im Fall des versierten, von Privatlehrern zäh trainierten Skiläufers Schumacher, der zur falschen Zeit, bei bedecktem Himmel und schlechter Sicht, am falschen Ort war, einem kleinen Stück Feld, auf das sich so verlockend märchenhaft wie gemeingefährlich eine dünne neue, trügerische weiße Pracht über die spitzen Steine gelegt hatte.