Berlin. .
Hätte Bundestagspräsident Norbert Lammert nicht an Nelson Mandela erinnert, dann wäre diese Kanzlerwahl fast wie ein beliebiger Tag über die Bühne gegangen. Arg nüchtern und geschäftsmäßig lässt sich die dritte Amtszeit von Angela Merkel an. Das gilt für den Beifall nach der Wahl im Parlament wie für die Ernennung und die Vereidigung.
Die Kanzlerin trägt ein schwarzes Hosenkostüm und wartet an der Seite von Unions-Fraktionschef Volker Kauder das Ergebnis ab. Sie lächelt gequält, als es bekannt gegeben wird. 462 Abgeordnete stimmten für sie. 150 votierten mit Nein, und neun Parlamentarier enthielten sich. Zehn Politiker schwänzten die Wahl, drei aus den Reihen von Union und SPD.
Über 504 Stimmen verfügt die Große Koalition. Sie blieb also unter ihren Möglichkeiten, um 39 Stimmen (plus die drei Abwesenden). Auch das ist kein Bruch mit der Routine. 2005 erging es der Kanzlerin nicht anders: damals fehlen 51 Stimmen. Kurt-Georg Kiesinger fehlten 1966 bei seiner Wahl zum Kanzler gar 107 Stimmen der ersten großen Koalition. Die Wahl ist geheim. Man kann nach den letzten Wochen allenfalls vermuten, dass sich SPD-Abgeordnete schwer taten.
Auf der Tribüne fehlt Angela Merkels Ehemann Joachim Sauer. Das heißt: Wirklich gerechnet hatte man mit ihm nicht. Denn er war schon ihrer ersten Kanzlerwahl 2005 ferngeblieben. Aber ihre Mutter Herlind Kasner hat sich diesen Tag nicht entgehen lassen.
Sie sitzt in der ersten Reihe neben einigen Neu-Ministern, die nicht Abgeordnete sind, also Manuela Schwesig, Heiko Maas und Johanna Wanka. Dazu gesellt sich auf der Zuschauertribüne Guido Westerwelle hinzu. Gerade war der Außenminister in Brüssel, jetzt ist er nur Zuschauer.
Rösler spricht kaum länger als eine Minute
Eine Aufgabe bleibt ihm am letzten Tag: Die Übergabe des Auswärtigen Amts an Frank-Walter Steinmeier (SPD), seinem Vorgänger, der nun sein Nachfolger wird. Der SPD-Mann versprach, an den Grundkoordinaten der Außenpolitik festhalten zu wollen, insbesondere an der „Kultur der militärischen Zurückhaltung“. Heute reist er mit Merkel nach Paris und morgen nach Polen, um die Politik gegenüber der Ukraine abzustimmen.
Insgesamt zieht sich die Übergabe der Regierung über zwei Tage hin, mal mehr, mal weniger feierlich. Wirtschaftsminister Philipp Rösler redet kaum länger als eine Minute – dann ist SPD-Chef Sigmar Gabriel am Zug. Feierlicher geht es im Verteidigungsministerium zu, wo ein Kranz am Ehrenmal der Bundeswehr niedergelegt wird und Thomas de Maizière mit militärischen Ehren verabschiedet wird. Er hat tief geschluckt, als er von der Kanzlerin Merkel erfuhr, dass er sein Amt an Ursula von der Leyen abtreten müsse.
Heute findet der Stabwechsel im Innenministerium statt, wo de Maizière wiederum den CSU-Mann Hans-Peter Friedrich ablöst. Auch hier: Amtsvorgänger und -nachfolger in einer Person. Friedrich hatte drei Monate lang zwei Ressorts geführt. Er war ausgeguckt worden, zusätzlich das Agrarministerium zu führen, nachdem Ilse Aigner nach Bayern gegangen war. Eigentlich hatte sie nach der Geschäftsordnung einen anderen Stellvertreter, aber damals wurde Friedrich beauftragt. Jetzt, spätestens jetzt, weiß man auch warum: Er ist Aigners Nachfolger.
Merkel und ihre Minister pendeln im Laufe des Tages zwischen Reichstag und Schloss Bellevue. Dort werden die Minister ernannt, im Bundestag legen sie danach ihren Eid ab, alle mit der Formel „so wahr mir Gott helfe“.
Gauck verleiht dem Tag etwas Feierliches
Es ist der Bundespräsident, der dem Tag etwas Feierliches verleiht. Die 15 Minister stehen in einer Reihe und werden einzeln aufgerufen – Vizekanzler Sigmar Gabriel zuerst, der neue Kanzleramtschef Peter Altmaier zuletzt –, um ihre Ernennung aus den Händen von Joachim Gauck zu empfangen. Gauck hält eine kleine Rede. Die Koalitionäre hätten eine wichtige Tugend der Demokratie unter Beweis gestellt: Die Fähigkeit zum Kompromiss. „Dafür verdienen Sie Anerkennung und Respekt“, ruft der Präsident aus. Gauck findet auch ein paar Worte zur parlamentarischen Opposition, die an diesem Tag sonst eine Statistenrolle hat. Gauck sagte, auch wenn die Fraktionen von Grünen und Linken klein seinen, ändere das nichts an der wichtigen Rolle der Opposition. Jetzt geht es los.