Istanbul/Athen. Die Türkei ist ein Haupttransitland für Flüchtlinge und Migranten auf dem Weg in die EU. Nun soll ein Abkommen mit der EU zur Rücknahme von Flüchtlingen unterzeichnet werden. Türkischen Staatsbürgern wird dafür eine Visa-Liberalisierung in Aussicht gestellt.
Von der türkischen Mittelmeerküste aus scheint Europa zum Greifen nahe. Kaum mehr als ein Kilometer Wasser trennt die griechische Inselwelt und das Festland an der engsten Stelle. Für Flüchtlinge und Armutsmigranten aus Afrika und dem Nahen Osten hat sich die Türkei mit ihrer Politik der offenen Grenzen zu einem Haupttransitland auf dem Weg nach Europa entwickelt. Ein Abkommen, das am 16. Dezember in Ankara unterzeichnet werden soll, verpflichtet die Türkei künftig aber zur sogenannten Rückübernahme illegaler Migranten.
In Ankara verbinden sich damit große Erwartungen. Denn die Unterzeichnung soll auch den offiziellen Beginn der Verhandlungen über eine visafreie Einreise türkischer Staatsbürger nach Europa markieren. "Ich hoffe, dass türkische Staatsbürger in kurzer Zeit, vielleicht in einigen Jahren, frei durch Europa reisen können. Das sehe ich als wichtigen Schritt", sagt der türkische Staatspräsident Abdullah Gül. Wenn es mit der Visa-Liberalisierung nicht vorangehe, werde es auch mit der Rücknahme von Flüchtlingen bald Probleme geben, lassen türkische Regierungspolitiker erkennen.
Auf der griechischen Ostägäisinsel Chios in Blickweite zum türkischen Festland treffen die Pläne der Europäischen Union noch auf Skepsis. "Das EU-Rückführungsabkommen für illegale Migranten mit der Türkei ist eine tolle Sache", sagt ein Offizier der griechischen Küstenwache mit ironischem Unterton. "Nur wer setzt das in die Tat um? Die in Brüssel haben keine Ahnung, was hier los ist."
Mehr als 300 Migranten vor Inseln der Ostägäis aufgegriffen
Das Abkommen lässt noch manche Fragen offen. Die bisherigen Erfahrungen sind auf griechischer Seite allerdings nicht gut. "Ein seit fast zehn Jahren geltendes bilaterales Rückführungsabkommen hat die Türkei leider bislang nicht so berücksichtigt, wie es auf dem Papier stand", sagt ein Sprecher des Athener Außenministerium der Nachrichtenagentur dpa.
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In den vergangenen Wochen sind aus der Türkei mehr als 300 Migranten in morschen Kähnen und Schlauchbooten vor den Inseln der Ostägäis aufgegriffen worden. Die Türkei nahm in den vergangenen Jahren aber nur etwa zehn Prozent dieser Menschen wieder auf, klagt der Offizier der Küstenwache. Das Verfahren sei bürokratisch kompliziert. Es dauere Monate und manchmal Jahre, bis ein Flüchtling von der Türkei als sogenanntes sicheres Drittland wieder aufgenommen wird.
"Wir hoffen, dass es besser wird", sagt Konstantinos Koutras, der Sprecher des Außenministeriums. Die EU lockt mit einer stufenweise Aufhebung der Visumspflicht für türkische Bürger. Diesmal ist die "Win-Win-Situation" verlockend für Ankara, heißt es in Athen.
Jeder zehnte Einwohner in Griechenland ist Ausländer
Menschenrechtsorganisationen und EU-Behörden kritisieren unmenschliche Verhältnisse in griechischen Aufnahmelagern. Zudem wurde der griechischen Marine vorgeworfen, mit gefährlichen Manövern wiederholt Flüchtlingsboote zum Kentern gebracht zu haben. Außerdem untersuche das Land die Anträge von Asylsuchenden nicht gründlich genug und weise Flüchtlinge im Schnellverfahren aus.
Mittlerweile hat sich in dem von der Finanzkrise erschütterten Griechenland eine dramatische Lage ergeben: Jeder zehnte der rund 11,3 Millionen Einwohner ist ein Ausländer. Athen hat in den vergangenen 15 Jahren mehr als 700.000 Einwanderer legalisiert. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass weitere 300.000 bis 500.000 Menschen illegal im Land leben. Die Kleinkriminalität hat nach Angaben der Polizei deutlich zugenommen. Ganze Stadtviertel haben sich in Ghettos verwandelt. Weniger als ein Prozent der Antragsteller bekommt noch Asyl.
Rechtsradikale Kräfte wie die neonazistische "Goldene Morgenröte" haben sich den "Rauswurf der Migranten" auf die Fahne geschrieben. Die Rechtsextremisten stehen in Umfragen mit acht bis zehn Prozent als drittstärkste Kraft da. "Es ist kritisch. Wenn nicht bald eine Lösung gefunden wird, könnte es zur Explosion kommen", warnt eine Mitarbeiterin der Organisation Caritas in Athen. (dpa)