Frankfurt. Es sei der Tag gekommen, an dem es nicht mehr ausgereicht habe, nur zu schreiben, sagt die Schriftstellerin Juli Zeh. Es sei Zeit, zu handeln: Mehr als 500 Autoren haben einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie gegen Überwachung protestieren. Manchen Blättern waren die Aussagen zu provokant.

Das Papier der 562 Autoren nennt keine Schuldigen, keine Namen und stellt keinen Staat an den Pranger. Nicht die USA, nicht die Geheimdienste, nicht die NSA, nicht die Regierungen, nicht die Internet-Konzerne.

Denn der Aufruf soll nicht einzelne Verantwortliche zur Umkehr bewegen, sondern wendet sich an die breite Öffentlichkeit, erklärt die Schriftsellerin Juli Zeh, eine der Initiatoren der Aktion, im Gespräch mit der FAZ. Die Zeitung veröffentlichte neben 30 weiteren Blättern – dazu gehören der Guardian, der Standard, Le Monde, El Pais oder die Neue Züricher – den weltweiten Aufruf am Dienstag.

Die Öffentlchkeit sei „der realistische Adressat“, sagte Zeh. Denn: „Wir brauchen einen Mentalitätswechsel. Einen Bewusstseinswandel wie beim Umweltschutz: Es wird sich langfristig nur etwas ändern, wenn sich auf breitester Basis durchsetzt, dass Überwachung die Demokratie gefährdet.“

US-Zeitungen schreckten zurück

Obwohl der Aufruf bewusst Schuldzuweisungen vermeidet, war der Text einigen führenden US-Zeitungen wohl zu heiß. So verzichteten bislang die angesehene „New York Times“ und sonst wenig scheue „Washington Post“ auf seine Veröffentlichung.

Sie hätten den Initiatoren signalisiert, dass dies ein sehr provokantes Papier sei. „Da haben wir uns kaputtgelacht“, sagt Zeh. „Der Aufruf ist allgemein gehalten. Wir haben absichtlich versucht, nicht allzu provokativ zu sein, damit möglichst viele Autoren den Forderungen zustimmen können.“

Aufruf wurde in aller Stille vorbereitet

In aller Stille haben Zeh und ihre Mitstreiter die Aktion vorbereitet, damit der Text weltweit an einem Tag erscheinen konnte. Die Gefahr eines Lecks sei andernfalls zu groß gewesen, erklärt der Autor Ilja Trojanow. Keine Institution oder Gruppe habe die Sache gefördert oder gelenkt. „Eine freie Gruppe von Bürgern, die zufällig alle Autoren sind, hat das wochenlang zusammengefügt, jeder mit seinen Kontakten und Netzwerken“, sagte Trojanow der FAZ.

„Mit ein paar Mausklicks können Staaten unsere Mobiltelefone, unsere E-Mails, unsere Netzwerke und die von uns besuchten Internetseiten ausspähen. Sie haben Zugang zu unseren politischen Überzeugungen und sie können, zusammen mit kommerziellen Internetanbietern, unser Verhalten, nicht nur unser Konsumverhalten, vorhersagen“, heißt es in dem Aufruf.

Über diese Bedrohung habe sie nicht länger schweigen können, sagte Zeh. „Bei mir kam der Punkt, an dem ich gemerkt habe: Ich kann darüber nicht mehr schreiben. Jetzt muss gehandelt werden.“

Das sagen die Autoren

US-Autor T.C. Boyle: „Während wir schliefen, haben die Maschinen die Welt übernommen. Regierungen bauen und betreiben die Maschinen, und die Maschinen sammeln Daten, die immer missbraucht werden. Es gibt kein Rückzugsgebiet mehr.“

Der deutsche Erzähler Thomas Hettche: „Der technologische Umbruch, den wir erleben (...) schickt sich an, auf den innersten Kern des Menschseins, unsere Freiheit, zuzugreifen. Wenn die Politik den Verlockungen, hinter denen sich dieser Angriff verbirgt, nicht widersteht, wird er die demokratische Gesellschaft von innen zerfressen.“

Die deutsche Autorin Antje Rávic Strubel: „Das kapitalistische System, das so gern mit der Freiheit des Indi­viduums in Verbindung gebracht wird, zeigt sich heute perfider als der Kommunismus in seinen Methoden, diese Freiheit zu beschneiden. (...) Ich aber fürchte mich, denn diesmal sind die ­Mittel von tod­sicherer ­Effizienz.“

Der chinesische Autor Liao Yiwu, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels: „Im dikatorischen China habe ich mehr als die Hälfte meines Lebens unter Überwachung verbracht. Ich habe geglaubt, dass es im Westen ­keine Überwachung der ­alltäglichen Worte und ­Handlungen der Bürger gibt. Aber ich habe mich geirrt.“