Peking. . Das deutsche Bildungssystem ist gerechter geworden und liegt international erstmals über dem Durchschnitt. Das zeigt die aktuelle Pisa-Studie. In Mathematik und Naturwissenschaften sind die deutschen Schüler erstmals in der Spitzengruppe. Doch die chinesischen Schüler liegen wieder weit vorn. Was machen sie anders?

Angespannt starrt die 15-jährige Song Mei auf den Zeigestock der Lehrerin. Sobald er auf sie zeigt, kommt ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen. „Sehr gut auswendig gelernt“, lobt die Lehrerin. Song Mei atmet auf. Das Üben hat sich gelohnt.

Ihr Schulalltag ist lang: Eine Stunde vor Unterrichtsbeginn um acht trifft sich sie sich bereits mit sechs Mitschülern bei einer Privatlehrerin, um die Hausaufgaben vom Vortag durchzugehen. Dann folgt acht Stunden Frontalunterricht, unterbrochen von einer 45-minütigen Mittagspause.

Kaum zu Hause hat sie Klavierunterricht. Dann hat sie eine Stunde Zeit für Hausaufgaben. Gegen 18.30 Uhr gibt es Abendessen. Vier Mal die Woche muss sie abends zum Buxiban (Vorbereitungsklasse). Dort wird quasi vorgelernt. „Das muss jeder hier so machen“, sagt ihre Mutter. Ob sie angesichts eines so engen Zeitplans nicht Mitleid mit ihrer Tochter habe? „Natürlich“, antwortet sie. Aber es gehe ja um ihre Zukunft.

Gewaltiger Leistungsdruck lastet auf chinesischen Schülern

Der Leistungsdruck von 15-jährigen Schülern der Mittelschicht in den chinesischen Metropolen ist gewaltig – und zeigt sich auch an den aktuellen Pisa-Ergebnissen. In dem weltweiten Schulleistungstest ist zum zweiten Mal in Folge die Region Schanghai Spitzenreiter. In allen drei Kategorien Lesen, Mathematik und in den Naturwissenschaften haben Schüler der ostchinesischen Hafenmetropole am Besten abgeschnitten.

Im Haupttestfach Mathe erreichten die Schüler im Durchschnitt 613 Punkte. Zum Vergleich: Deutschlands Schüler schafften gerade einmal 514 Punkte. Schanghais 15-Jährige sind ihren deutschen Altersgenossen in ihren Mathefähigkeiten damit um rund drei Jahre voraus.

Bereits im Kindergarten wird rechnen und lesen gelernt

Bei den Lesefähigkeiten zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch hier rangiert Shanghai mit 570 Punkten an der Spitze, gefolgt von Hongkong (545) und Singapur (542) – alles chinesisch geprägte Städte. Im Bereich der Lesekompetenz erzielten deutsche 15-Jährige weit abgeschlagen im Schnitt 508 Punkte. Bei den Naturwissenschaften sieht es nicht anders aus.

Die Gründe für die guten Resultate der chinesischen Schüler liegt nach Ansicht von Experten in einer grundsätzlich anderen Lernkultur. Bereits im Kindergarten üben die Kinder in Schanghai rechnen und lesen. Im Grundschulalter steht bei Familien der Mittelschicht nachmittags Klavierunterricht, Kalligraphie und Englisch auf dem Programm.

Nach der Grundschule ist die Kindheit vorbei 

Ab der Mittelschule ist für die Schülerinnen und Schüler in der Regel die Kindheit vorbei. „Sechs Stunden Schlaf unter der Woche sind eher die Regel als die Ausnahme“, kritisiert der Mathematiklehrer Cao Guangfu, Chinas berühmtester Bildungsexperte. Dann werde nur noch gedrillt.

In den Metropolen ist unter der noch recht junger Mittelschicht ein regelrechter Konkurrenzkampf ausgebrochen. Nur wer am Ende der Schulzeit bei der zentralen Hochschulaufnahmeprüfung Gaokao eine hohe Punktzahl erreicht, hat Chancen auf einen Platz an einer guten Universität.

Nur die besten zwei Prozent einer Schule schafft es auf eine der Eliteuniversitäten in China. Alle anderen müssen sich mit eher schlechten Hochschulen abgeben. Wer es sich leisten kann, weicht auf Privatunis aus oder entscheidet sich gleich für ein Studium im Ausland – teuer für die Eltern sind beide Varianten.

Großer Unterschied zwischen Stadt und Land

Auch dieses Mal haben beim Pisa-Test in der Volksrepublik nur die großen Städte Schanghai und Hongkong teilgenommen. Die Ergebnisse lassen jedoch durchaus Rückschlüsse auf andere chinesische Metropolen zu. Auch dort drillt die wachsende Mittelschicht ihre Kinder zu Höchstleistungen.

Ganz anders sieht es hingegen in Chinas ländlichen Regionen aus. In kleineren Städten fehlt es oft an guten Schulen, Vorbereitungsklassen und Privatlehrern. Und auf dem Land finden sich noch immer 15-Jährige, die noch nie eine Schule von innen gesehen haben.