Bangkok/Manila.

Der bitterlich weinende Mann umklammert mit der rechten Faust ein Bündel schwarzes Haar. „Das Haar war um ein Gitter gewickelt, wo ich zwei meiner Kinder tot gefunden habe“, erzählt er unter Tränen. Marvin Isanan wollte seine Frau und drei Töchter in der Nähe haben, während der Monster-Taifun Haiyan über seine Heimatstadt Tacloban hinwegfegte. Der Wächter brachte die Familie am Freitag zu seiner Arbeitsstelle – dem Flughafen – mit. Er wollte das Beste und verursachte das Schlimmste.

Der Flughafen liegt auf einer Halbinsel vor der Stadt, die zu 80 Prozent von Wirbelsturm „Haiyan“ dem Erdboden gleich gemacht wurde. Der Airport wurde von den Wellen überflutet, die der Taifun vor sich hertrieb. Die Mädchen ertranken ebenso wie Tausende anderer Filipinos. „Alle Berichte über Opfer sind bislang einzelne und nicht zusammenhängende Darstellungen“, kommentiert ein Diplomat in der Hauptstadt Manila.

Wahrscheinlich steigt die Zahl der Toten auf mehr als 10 000. So wurde die Stadt Guiuan zerstört. Über das Schicksal der 30 000 Einwohner ist nichts bekannt. Palo, ein Ort am Pan-Philippinischen Highway südlich von Tacloban, stand am Sonntag immer noch dreieinhalb Meter unter Wasser.

Keiner hat Zeit, sich um die Leichen zu kümmern

Im Meer rund um Tacloban dümpeln Leichen neben Trümmern, die der Sturm ins Wasser geweht hat. Zwischen umgestürzten Autos, abgeknickten Laternenpfählen und Bäumen, die mangels Laubwerk wie stumme Zeugen ihre Äste gen Himmel recken, liegen Tote in der Hafenstadt. Kaum jemand hat Zeit, sich um die Leichen zu kümmern. Obdachlos, ohne Nahrung und ohne Wasser plündern Bewohner die Geschäfte, die den Sturm halbwegs überstanden haben. In einem Krankenhaus der 220 000 Einwohner zählenden Stadt sind die Medikamente ausgegangen. Patienten kauern auf klatschnassen Matratzen.

Während die Verzweiflung wächst, steigt auch die Angst vor Überfällen. Die Krankenschwestern der Armee-Einheit, die am Samstag mit einem Hubschrauber in die von der Außenwelt abgeschnittene Stadt vorgedrungen war und die gerade ein verbogenes Eisenbettgerippe samt Matratze zu einem provisorischen Sanitätszentrum trugen, glaubten deshalb zunächst an einen Überfall, als eine schreiende Frau mit wirrem nassen Haar auf sie zustürzte. Dabei handelte es sich um eine angehende junge Mutter, die wegen der schmerzenden Wehen brüllte und sich kurzerhand auf die Matratze warf.

Bald ist das erste Baby nach der Katastrophe geboren. Es wird von der 18-jährigen Mutter „Yoonadale“ getauft – in Anlehnung an den Namen „Yolanda“, wie philippinische Behörden den Monstersturm mit Windgeschwindigkeiten über 300 Stundenkilometern getauft haben, der im Rest der Welt als „Haiyan“ bezeichnet wird.

Viele Regionen sind von der Außenwelt abgeschnitten. Wie eine gigantische Kreissäge zerfetzte der Sturm, der schlimmste seit Jahrzehnten, Wälder, Häuser, Menschen und die Lebensgrundlage von mehr als vier Millionen Filipinos. Der Taifun hinterließ eine Schneise der Verwüstung, in der keine einzige „Barong-Barong“ überlebte. So heißen die baufälligen, aber typischen Hütten, in denen die meisten Filipinos leben. Jetzt sind ihre Unterkünfte zerstört. Fischer verloren ihre Boote. Bauern können die Ernte abschreiben.

Große Teile des Katastrophengebiets sind noch nicht zu erreichen. Straßen wurden von Erdrutschen verschüttet. Flughäfen überschwemmt, Landebahnen unterhöhlt. Die Welt mag Satelliten besitzen, die faszinierende Bilder des Taifuns schießen. Unter den Wolken vernichtete der Taifun in Minuten alle modernen, scheinbar selbstverständlichen Errungenschaften vom Mobiltelefonverkehr über Strom bis zu Wasserversorgung. Es wird Wochen dauern, bis die notwendigste Infrastruktur wieder funktioniert. „Die Zerstörung ist verheerend“, sagt Raul Banias, Provinzverwalter von Iloilo.

Kaum Transportkapazitäten

Es scheint, als ob die Unterstützung die Philippinen aus dem Ausland schneller erreicht als sie dann ins Katastrophengebiet geliefert werden kann. Denn die philippinischen Streitkräfte besitzen kaum Transportkapazitäten, um der immensen Herausforderung zu begegnen. Die ersten Hilfsgüter aus Deutschland kamen bereits am Sonntag mit einem Lufthansa-Flug in Manila an. Doch im Katastrophengebiet waren fast alle Flughäfen nur per Hubschrauber erreichbar.

Unterdessen bereiteten sich die Bewohner von Zentral- und Nordvietnam auf den Taifun vor. Schon bevor „Haiyan“ das Festland überhaupt erreichte, starben dort sechs Menschen bei Überschwemmungen. Die Küste wurde evakuiert; eine halbe Million Menschen verließen ihre Häuser. Vietnams Behörden stellten sich auf den schlimmsten Sturm seit Jahrzehnten ein.