Brüssel. .

Vor 14 Jahren, im Oktober 1999, verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs im finnischen Tampere, in der EU eine gemeinsame Einwanderungs- und Asylpolitik aufzubauen. Am heutigen Freitag steht das Thema wieder auf der Agenda eines Gipfels. In der Zwischenzeit sind rund 20 000 Flüchtlinge im Mittelmeer umgekommen – ertrunken auf dem Seeweg ins gelobte Land. In den „Raum der Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit“, den zu errichten die EU in Tampere gelobte. Sie hat allerhand getan, sich das Problem mit Stacheldraht und Kameras vom Leib zu halten, und wenig, um das Elend der Flüchtlinge zu lindern.

Erschütternde Bilder

Kommissionschef Jose Manuel Barroso mahnt, „wir dürfen nicht zulassen, dass in solche lebenswichtigen Angelegenheiten nur durch Tragödien Bewegung kommt“. Genau das freilich passiert. Erst angesichts der erschütternden Bilder aus Lampedusa hat sich Barroso persönlich auf die Insel vor der Küste Afrikas begeben; erst die Katastrophe hat das Thema auf die Gipfel-Agenda gebracht und die Bürgermeisterin von Lampedusa, Guisi Nicolini, nach Brüssel. Dort forderte sie eine geänderte Asylpolitik. „Ohne ein neues Asyl- und Einwanderungsrecht sind es nicht nur die Einwanderer, sondern Europa, das vor Lampedusa untergehen wird.“

Der italienische Premier Enrico Letta, unterstützt vom Amtsbruder aus Malta, will auf dem Gipfel einen Beschluss über einen Aktionsplan und „eine faire Verteilung der Verantwortung“ herbeiführen. Die Mittelmeerländer, erste Anlaufstelle im Süden, sollen entlastet werden. Das wurde von deutscher Seite schon im vorhinein abgewimmelt: „Keine Frage der Lastenteilung.“ So wird es bei der Regelung („Dublin-II-Abkommen“) bleiben, die den Randstaaten die Verantwortung aufbürdet: Zuständig ist der Mitgliedstaat, den ein Ankömmling zuerst erreicht. In erster Linie Abwehr-Funktion hat die von Warschau aus operierende Grenzschutz-Agentur Frontex, die mit Patrouillenbooten und Hubschraubern unterwegs ist, um illegale Einwanderung zu unterbinden. Demnächst soll ein Überwachungsverbund namens Eurosur allen Mitgliedstaaten zudem ständig ein aktuelles Bild von der Lage an den Außengrenzen im Süden und Osten vermitteln.

Nach dem Entwurf seiner Abschluss-Erklärung wird sich der Gipfel darauf verständigen, dass „mehr getan werden sollte“, um Tragödien wie die jüngsten Bootsunglücke vor Lampedusa zu verhindern. Etwas konkreter wird die zuständige EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström. Sie will „Frontex mit einer umfangreichen Such- und Rettungsmission im Mittelmeer von Zypern bis Spanien beauftragen, die der Rettung von Menschenleben gewidmet ist“. Ohne „zusätzliche Leistungen der Mitgliedstaaten“ sei das aber nicht zu bewerkstelligen. Ob dazu Bereitschaft besteht, ist zweifelhaft.

Ursachen bekämpfen

Einigkeit herrscht unter den Regierungen nämlich nur, solange die Notwendigkeiten in allgemeiner Form beschworen werden: Schleppern das Handwerk legen, nord- und schwarzafrikanischen Herkunftsländern helfen, Ursachen der Auswanderung bekämpfen, überforderten Mitgliedstaaten zur Seite stehen. Bei der Umsetzung tut sich wenig. Und trotz der Betroffenheit über Lampedusa bleibt das Tempo verhalten. Im Auftrag der EU-Innenminister soll eine Taskforce konkrete Maßnahmen erarbeiten. Die Staats- und Regierungschefs wollen sich im Sommer 2014 wieder mit dem Thema befassen. Eine Forderung des EU-Parlaments an die Mitgliedstaaten ließe sich rascher erfüllen: Nationale Gesetze abschaffen, die alle mit Strafe bedrohen, die schiffbrüchige Flüchtlinge retten.