Berlin. Das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl lässt die Grünen um ihren ökologischen Markenkern ringen. Ein neues Führungsteam soll die Partei bei der nächsten Bundestagswahl wieder nach oben bringen und neue Machtoptionen eröffnen.
Mitten im Ringen um programmatische Neuausrichtung hat Grünen-Fraktionschefin
Katrin Göring-Eckardt ihre Partei auf einen Wachstumskurs eingeschworen. "Die
nächsten vier Jahre, da geht es um eine Sache zwischen den Wählern und uns, da
geht es darum, unser Ergebnis zu verdoppeln", sagte sie am Samstag beim
Parteitag in Berlin. Die 800 Delegierten diskutierten stundenlang über
Konsequenzen aus dem 8,4-Prozent-Wahldebakel.
Zuletzt seien die Grünen "viel zu sehr in der Spur" gewesen und
hätten zu wenig mitbekommen, was daneben passiert", sagte Göring-Eckardt. Jetzt
dürften sie sich nicht in die "Schmollecke" zurückziehen. Auch Gesprächen mit
der Linken dürfe sich die Partei nicht generell verschließen, forderte die
Fraktionsvorsitzende. Dafür müsse Linksfraktionschef Gregor Gysi seine Partei
aber erst zum Erwachsenwerden treiben und regierungsfähig machen.
Nie wieder "Wahlkampf mit dem Holzhammer"
Der hessische Fraktionschef Tarek Al-Wazir betonte: "Wir dürfen nie
wieder Wahlkampf mit dem Holzhammer machen." Eigenständigkeit könnten die Grünen
nicht beschließen, "die muss man als Haltung haben". Das bedeute auch, nüchtern
mit allen zu reden und auszuloten, wo es Übereinstimmungen gebe.
Auch der neue Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter forderte neue
Gestaltungs- und Machtoptionen: "Wir haben drei Mal Rot-Grün probiert. Drei Mal
hat es nicht funktioniert." Unter dem Jubel der Delegierten forderte er, die
Grünen müssten sich stark machen für den ökologischen Umbau der Wirtschaft,
einen solidarischen Freiheitsbegriff und mehr Gerechtigkeit.
Die scheidende Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke meldete Zweifel
am Erfolg des angestrebten Öffnungskurses der Grünen an. Die Partei sehe sich
bald wohl als kleinste Oppositionskraft einer großen Koalition gegenüber und
habe dann eine scharf auftretende Linkspartei neben sich. "Wir öffnet man sich
da eigentlich in Richtung Angela Merkel und gleichzeitig in Richtung
Linkspartei?". Dies sei nicht einfach zu erklären.
Mit Steuererhöhungsplänen viele Wähler verprellt
Die bayerische Fraktionschefin Margarete Bause forderte, auch aus der
Opposition heraus gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. Das sei eine
Zukunftsaufgabe. "Es ist unser Erfolg, wenn mittlerweile sogar (CSU-Chef) Horst
Seehofer grüne Positionen übernimmt."
Eine Delegierte aus Schleswig-Holstein kritisierte, die Grünen hätten
mit ihren Steuererhöhungsplänen viele Wähler verprellt. Die Partei werde wegen
ihrer "oberlehrerhaften Attitude" bei Steuern und "Veggie-Day" als "Spaßbremse"
wahrgenommen.
Am Nachmittag wollten die rund 800 Delegierten über den neuen
sechsköpfigen Parteivorstand und den Parteirat entscheiden. Als Vorsitzende
stellen sich der amtierende Parteichef Cem Özdemir und die frühere saarländische
Umweltministerin Simone Peter zur Wahl.
Kurzfristig meldete sich ein dritter Kandidat, der Essener Delegierte
Thomas Austermann. Er tritt gegen Özdemir an, gilt aber als chancenlos. Mit
Spannung wurde der Ausgang der Wahl zum Parteirat erwartet. Mit der Kandidatur
unter anderem des baden-württembergischen Landwirtschaftsministers Alexander
Bonde versuchen die Länder, ihren Einfluss in diesem Führungsgremium zu
verstärken.
Die bisherige Parteichefin Claudia Roth hatte nach der Bundestagswahl
angekündigt, nicht wieder anzutreten. Sie will Bundestagsvizepräsidentin werden.
Auch Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke tritt nach elf Jahren ab. Für das Amt
hat sich Michael Kellner beworben. Die Grünen hatten bei der Wahl am 22.
September nur 8,4 Prozent erreicht, 2009 kamen sie auf 10,7 Prozent. (dpa)