Rom. .

Der Tag danach. Es ist in Italien der Tag der Staatstrauer, der Schweigeminuten. Es ist der Tag, an dem die schwarze Integrationsministerin Cecily Kyenge – geboren im Kongo – ausruft: „Unter den Toten hätte auch ich sein können.“

Es ist der Tag, an dem Papst Franziskus die erneute Flüchtlingstragödie „eine Schande“ nennt. Es ist der Tag, an dem das Meer so aufgewühlt ist, dass Taucher die restlichen gut hundert Leichen nicht aus dem Wrack holen können.

Absurde Widersprüche kommen ans Tageslicht. Wer auf dem Meer unterwegs ist, muss laut Seerecht allen Schiffbrüchigen helfen. Laut italienischem Einwanderungsrecht lässt er es aber besser bleiben: Dann wird er – wie es Fischern vor Lampedusa bereits passiert ist – „wegen Förderung der illegalen Einwanderung“ ins Gefängnis geschickt. Drei Fischerboote, erzählen Überlebende, seien in der fatalen Nacht zum Donnerstag an ihnen vorbeigezogen.

Die Flüchtlinge kamen aus Libyen

Italien fragt sich, was aus den sechs Wachbooten geworden ist, die Regierungschef Berlusconi Libyen überlassen hat, damit Flüchtlingsboote noch in afrikanischen Gewässern zurückgewiesen werden können. Und die damals teuer erkauften Verträge, nach denen Libyen seine knapp zweitausend Kilometer lange Küste überwachen sollte, sind nichts mehr wert, wo Stammesmilizen ihre eigenen lukrativen Geschäfte mit dem Flüchtlingshandel machen und wo Rom im innenpolitischen Wirbel die Außenpolitik schleifen lässt.

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Von Christopher Onkelbach

Die vor Lampedusa Ertrunkenen sind von Libyen aus aufgebrochen.

„Lampedusa, das ist Europas Grenze“, sagt Innenminister Angelino Alfano: „Europa muss diese Grenze schützen. Aber geschieht das wirklich? Ein Staat, der seine Grenze nicht schützt, existiert schlicht und einfach nicht.“ Und Frontex, die europäische Überwachungsbehörde? „In der Theorie gibt es sie. Praktisch zeigt sie keinerlei Wirkung.“

Italien trägt nicht die Hauptlast

Italien – alleingelassen mit dem europäischen Flüchtlingsproblem? Experten widersprechen. „La voce“, die Internetplattform Mailänder Wirtschaftsprofessoren, rechnet vor: Im Jahr 2011 – der Zeit des „Arabischen Frühlings“ – sind 58 000 Flüchtlinge nach Italien gelangt, nach Frankreich das beinahe Vierfache (210 000), nach Deutschland gar zehnmal so viele: 571 000.

In Schweden kommen demnach neun Flüchtlinge auf tausend Einwohner, in Deutschland sieben, in Italien gerade mal einer. Von den derzeit Ankommenden wollen die meisten gleich nach Norden weiterreisen. Wo es mehr Arbeit gibt. Wo Verwandte und Landsleute wohnen.

Regierung ohne Konzept

Das Unbehagen, rügen Leitartikler, rühre auch daher, dass Italien kein Konzept in der Ausländerpolitik habe. Die Aufnahme von Bootsflüchtlingen werde nur lokal und nach dem Feuerwehrprinzip geregelt; Vorsorge, Bedarfsermittlung: Fehlanzeige. Das Aufnahmezentrum in Lampedusa ist seit dem Brand 2011 nur zum kleinen Teil wiederaufgebaut worden.

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So manches Übergangslager auf dem Festland wird – wohl nicht ohne Absicht – nur lax überwacht: Wer weglaufen kann, läuft weg. Und in der Konzentration, die sich nach jedem Schiffbruch auf Verletzte und Tote richtet, verschwinden die Überlebenden spurlos..

„Es ist gut, dass das ganze Land trauert. Es ist gut, dass Regierungsvertreter hier sind. Das kommt nicht alle Tage vor. Aber es kann nicht so weitergehen. Das ganze Denken muss sich ändern.“ Worte von Giusy Nicolini, der Bürgermeisterin von Lampedusa, am Tag nach der Katastrophe.