Washington. . Die Vereinigten Staaten droht erneut die Zahlungsunfähigkeit. Im Fall des US-Haushaltsstreits ist dieser Tage gut zu beobachten, wie Politik pervertiert wird – eine Analyse.
Geiselnahme und Erpressung als Fortsetzung der Politik mit den Mitteln Krimineller ist kein Alleinstellungsmerkmal von Bananen-Republiken. Wie es ist, wenn Demokratie pervertiert wird, kann man zurzeit atemverschlagend in Amerika beobachten. Wenn die größte Volkswirtschaft der Welt bis zum morgigen Dienstag keinen gültigen Haushaltsplan hinkriegt, werden Hunderttausende Beamte in den Zwangsurlaub geschickt und große Teile der öffentlichen Verwaltung geschlossen. Zwei Wochen später droht den Vereinigten Staaten sogar die Zahlungsunfähigkeit, weil das Schuldenlimit erreicht ist.
Entstanden ist das Szenario, das sich seit Wochen in einem bizarren Ping-Pong-Spiel zwischen dem demokratisch beherrschten Oberhaus (Senat) und der republikanisch dominierten zweiten Kammer (Repräsentantenhaus) abspielt, durch die Wiederbelebung einer politischen Leiche. Die Tea Party, polarisierende Dauer-Nein-Sager-Fraktion innerhalb der Republikaner, schien nach Obamas Wiederwahl vor bald einem Jahr so gut wie erledigt. Ein Irrtum, wie sich heute zeigt. Angeführt von irrlichternden Demagogen wie dem texanischen Senator Ted Cruz feiert die verbohrte Polit-Sekte auf der Rechten Wiederauferstehung.
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Ihre Drohung, der Regierung in Washington den Geldhahn abzudrehen und das Land in die Pleite zu treiben, wenn der Präsident seine umstrittene Gesundheitsreform nicht einmottet, die 40 Millionen Amerikanern endlich Versicherungsschutz im Krankheitsfall bietet, ist ein beispielloser Akt kalter Erpressung.
Die Tea-Party-Radikalen versuchen aus dem Kongress einen Basar zu machen. Aber es wird nicht einmal ehrlich gefeilscht – weil ein Verhandlungspartner immer einen Dolch im Gewand führt. Cruz & Co. wollen keinen Kompromiss. Sie wollen die Kapitulation der Gegenseite. Ihr beharrliches Verlangen, ein vor vier Jahren im parlamentarischen Prozess entstandenes und vom Obersten Gerichtshof für rechtens erklärtes Gesetzeswerk einzustampfen, ist zutiefst anti-demokratisch.
Dem Wahnsinn ausgeliefert
Dass die geballte Unvernunft dabei auch noch in Kauf nimmt, dass die Vereinigten Staaten die Märkte verunsichern und die labile Weltwirtschaft erschüttern könnten, macht diese Republikaner zu politischen Straftätern. Kann sie niemand einfangen?
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Die jammervolle Vorstellung des republikanischen Establishments, das der Katastrophe bis auf wenige Ausnahmen tatenlos zusieht, erklärt sich durch nicht entschiedene Richtungskämpfe innerhalb der „Grand Old Party“ und durch haarsträubende Fehl-Mechanismen im System der Kandidatenkür. Bei Licht betrachtet, handeln die Extremisten, die Politik frei nach Darwin betreiben – nur der Stärkere überlebt – rein logisch. Würden sie von ihrem Alles-oder-nichts-Kurs abweichen, käme bei den Halbzeitwahlen des Parlaments 2014 die Quittung: Sie würden, der Boden dafür ist in vielen Bundesstaaten durch vergiftete Propaganda längst bereitet, vom Volk durch noch radikalere Vertreter ersetzt.
Dass dies so ist, beschreibt das eigentliche Dilemma in Amerikas kaputtem Politikbetrieb. Die Spaltung der Gesellschaft, die tiefen Gräben zwischen Habenden und Habenichtsen, die Sprachlosigkeit zwischen den beiden großen Parteien ist so weit fortgeschritten, dass auf Seiten der Konservativen fast nur noch Staats- und Systemverächter eine Chance haben, Volksvertreter zu werden. Auf Europa und den Rest der Welt wartet eine unerquickliche Periode. Man ist dem Wahnsinn in Washington hilflos ausgeliefert.