Johannesburg. .
Es war ein einmaliger Glücksmoment für Terrorjäger. Am 7. Juni 2011 um 23 Uhr 15 fuhr ein mit drei Personen besetzter Geländewagen in eine am Stadtrand von Mogadischu errichtete Straßensperre der somalischen Armee: In dem anschließenden Feuergefecht kam sowohl der kenianische Fahrer wie ein mit einem weißen Turban umhüllter Insasse ums Leben. Später stellte sich heraus, dass es sich bei dem Durchsiebten um keinen anderen als den 37-jährigen Chef der ostafrikanischen El-Kaida-Zelle, Fazul Abdullah Mohammed, handelte: Der Chauffeur des für die verheerenden Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Dar-es-Salaam 1998 verantwortlichen Top-Terroristen hatte sich verfahren, hieß es. Doch womöglich wurde dem komorischen Staatsbürger auch eine Falle gestellt.
Blaupause für Massaker in Kenia
In Mohammeds Aktentasche wurde ein Dokument gefunden, das mit den Worten begann: „Unser Ziel ist es, London mit kostengünstigen Operationen zu treffen, die dem dortigen Establishment und den jüdischen Gemeinden einen schweren Schlag versetzen: Mit einer Taktik, die auch unsere Brüder in Bombay angewandt haben.“ Zwei Jahre nach der zufälligen Entdeckung wird erst jetzt die wahre Bedeutung des Fundes erkannt: Denn der Anschlag auf das Einkaufszentrum „Westgate“ in Nairobi weist sämtliche Merkmale des Masterplanes auf. Die Attacke war vergleichsweise preiswert, sie traf das Establishment mitsamt den jüdischen Besitzern der Shopping Mall und vor allem: Sie wurde mit derselben kaltblütigen Taktik wie die Angriffe in Bombay durchgeführt, denen im November 2008 mehr als 160 Menschen zum Opfer fielen.
Dass das Strategie-Papier aus der Feder Mohammeds stammt, gilt als unwahrscheinlich. Der El-Kaida-Agent war gegenüber der somalischen Al-Schabab-Miliz, unter deren Obhut er sich damals befand, eher skeptisch eingestellt: Er suchte eine zu enge Allianz zwischen den hemdsärmeligen somalischen Milizionären und den Profis des Terrornetzwerks zu verhindern – und war sich darin offenbar mit seinem damals noch lebenden Chef Osama bin Laden einig. Dagegen hatte Al-Schabab-Chef Moktar Ali Zubeyr andere Pläne: Er wollte seine „Jungs“ (al Schabab auf arabisch) zu einem regionalen „Franchise“ des globalen Netzwerks trimmen. Möglicherweise, heißt es in der Gerüchteküche der Terrorjäger, habe Zubeyr alias Godane dazu beigetragen, dass sich Mohameds Fahrzeug in besagter Nacht verirrte.
Jedenfalls öffneten Mohammeds und bin Ladens nur wenige Wochen zuvor gemeldeter Tod Godane den erwünschten Weg. „Die Jungs“ waren als einst ganz Somalia beherrschende Streit- und Ordnungsmacht ohnehin gescheitert: Die gemeinsam mit kenianischen und äthiopischen Interventionstruppen operierenden Soldaten der afrikanischen Amisom-Mission hatten ihnen das Genick gebrochen.
Verheerende Anschläge in Somalia
Godane wusste, dass nur eine radikale Transformation der Organisation ihr Überleben sichern konnte: Er begann, aus dem sich auflösenden Milizenheer eine schlagkräftige, klandestine Terrortruppe zu schmieden. Im vergangenen halben Jahr führte diese bereits zahlreiche verheerende Anschläge in Mogadischu aus: Jetzt galt es, die neuen Künste auch im Ausland anzuwenden. Die letzte Hürde nahm Godane im Juni dieses Jahres, als er al Schabab mit Waffengewalt von allen Bremsern säuberte, die weiter für eine bloß nationale Agenda der Organisation eintraten.
Ohne Beteiligung bereits erfahrener El-Kaida-Agenten sei der Anschlag auf das „Westgate“-Zentrum nicht möglich gewesen, sagen Experten. Tatsächlich scheint der neue El-Kaida-Chef Ayman al-Zawahiri weniger Widerstände gegen eine Kooperation mit regionalen „Lizenzträgern“ als sein Vorgänger zu haben: Er weiß, dass die Zukunft seiner ebenfalls unter starken Druck geratenen Terrorgruppe nur mithilfe regionaler Bündnisse gesichert werden kann. Das Rezept dieses Terror-Föderalismus: Er bringt regionale Verwurzelung mit globalem Know-how zusammen.
Die Zusammensetzung der Westgate-Angreifer ist dafür beispielhaft: Unter den Terroristen sollen sich außer Somaliern und Kenianern auch mehrere in der Diaspora geborene „Mudschaheddine“ befunden haben. Womöglich wurde das Massaker von der britischen Soldatentochter Samantha Lewthwaite, der „weißen Witwe“, geplant: Jedenfalls fahndet jetzt Interpol nach ihr.
Die Vernetzung zwischen afrikanischer Region und Diaspora macht Terrorjäger besonders nervös: Dadurch werde die „Heimatfront“ geöffnet, befürchten sie und verweisen auf die Pläne, wie sie der „verirrte“ Fazul Mohammed bei sich trug.
Auch in Deutschland wurden schon solche Blaupausen sichergestellt: auf dem in der Unterhose eines Wieners versteckten Memorystick, in dem sich zwischen Porno-Videos auch das Dokument „Sexy Tania“ befand. Darin wurden unter anderem auch der Angriff auf ein Kreuzfahrtschiff und die Hinrichtung von Passagieren anvisiert – in deutscher Sprache und unter ausdrücklichem Verweis auf den Angriff von Bombay.