Berlin. Angesichts der scharfen Angriffe der Union bekommen die Grünen in der Pädophilie-Debatte nun Rückendeckung auch von dritter Seite. Der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, warnte in der “Neuen Osnabrücker Zeitung“ davor, das Thema im Wahlkampf zu missbrauchen.
Es sei für politische Auseinandersetzungen ungeeignet. Ähnlich äußerte sich in der "Berliner Zeitung" der Politologe Stephan Klecha, der zu dem Göttinger Forscherteam um Franz Walter gehört, das die Vorwürfe im Auftrag der Grünen aufklärt.
Die Grünen hatten in den 80-er Jahren in ihren Programmen Forderungen von Gruppen geduldet, die gewaltfreie sexuelle Handlungen von Kindern und Erwachsenen legalisieren wollten.
Der Missbrauchsbeauftrage der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, verlangt von den Grünen, möglichen Pädophilie-Opfern aus dem linksalternativen Milieu der 70er und 80er Jahre Entschädigung und Unterstützung anzubieten. "Die Grünen stehen fest in der Verantwortung, den Opfern angemessene Anerkennung und Hilfen zukommen zu lassen", sagte er der "Passauer Neuen Presse". "Ich erwarte, dass mögliche Opfer durch geschulte Fachkräfte angehört werden." Rörig forderte die Partei auf, "den Untersuchungsauftrag entsprechend zu erweitern, damit Psychologen, Psychotherapeuten oder Mediziner für die Anhörung von Betroffenen hinzugezogen werden können".
Kinderhilfswerk-Chef Krüger sagte, die Grünen seien heute über jeden Zweifel erhaben und hätten sich von den früheren Positionen eindeutig distanziert. Sie hätten sich allerdings "zu spät einer notwendigen Aufklärung ihres Verhaltens und ihrer Programmatik in den frühen Jahren der Parteigründung gestellt", erklärte der frühere SPD-Politiker.
Der Politikwissenschaftler Klecha erklärte, CDU und CSU hätten noch vor nicht langer Zeit Vergewaltigung in der Ehe oder die Züchtigung von Kindern nicht für strafwürdig befunden. Teile der Union hätten zudem die Colonia Dignidad in Chile unterstützt, in der es schwerste Fälle von Folter und sexuellem Missbrauch von Kindern gegeben habe. "Diejenigen, die jetzt anfangen, moralische Maßstäbe zu formulieren, müssen aufpassen, dass es ihnen hinterher nicht so geht wie jetzt den Grünen. Man muss die Hürde, die man sich selbst legt, im Zweifel auch überspringen können."
Walter selbst hält Rücktrittsforderungen für unsinnig, wie er zuvor bereits der Deutschen Presse-Agentur gesagt hatte. "Ich würde allen Parteien in der Frage raten, den Mund nicht zu weit aufzumachen." Klecha sagte, die Reaktion des selbst unter Druck geratenen Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin auf die Vorwürfe sei angemessen gewesen. Dieser hatte es mehrfach als Fehler bezeichnet, dass in einem von ihm mit verantworteten Kommunalwahlprogramm der Göttinger Grünen-Liste Agil von 1981 Straffreiheit für gewaltfreien Sex mit Kindern gefordert wurde.
Angesichts der Vorwürfe gegen Trittin schlossen SPD und Grüne am Dienstag die Reihen hinter dem Grünen-Spitzenkandidaten. SPD-Chef Sigmar Gabriel gab ihm Rückendeckung. Auch der unabhängige Regierungsbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, wandte sich gegen "populistische" Rücktrittsforderungen.