Berlin.. Zwei Politologen werfen Jürgen Trittin, dem Grünen Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl, Verwicklung in die pädophilenfreundliche Politik der frühen 80er-Jahre vor. Trittin muss Fehler einräumen – dabei hatte er doch mit der Steuerdebatte schon genug Probleme.
Seit Tagen steht Jürgen Trittin unter Beschuss, weil die Grünen im Wahlkampf-Endspurt schwächeln. Jetzt kommt es noch dicker für den Spitzenkandidaten. Er ist in den Kontext der Pädophilie-Affäre der Ökopartei gerutscht. Bei einem schlechten Wahlergebnis droht dem 59-Jährigen das Aus an der Fraktionsspitze.
Nach Recherchen der Politologen Franz Walter und Stephan Klecha hat Trittin 1981 das Kommunalwahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) presserechtlich verantwortet. Darin habe er die Forderung der Gruppierung „Homosexuelle Aktion Göttingen“ nach Straffreiheit für gewaltfreien Sex zwischen Erwachsenen und Kindern einfach aufgenommen. Dies war ein damals bei den Grünen übliches Vorgehen. Trittin war seinerzeit Kandidat für den Göttinger Stadtrat. Im Kommunalwahlprogramm sei er als eines von fünf Mitgliedern in der Schlussredaktion aufgeführt gewesen, schreiben Walter und Klecha in der taz. Sie klären im Auftrag der Grünen die pädophilen Umtriebe aus den Kindertagen der Partei auf und wollen 2014 ihren Abschlussbericht vorlegen.
Trittin bestätigt die Vorwürfe – und distanziert sich
Trittin bestätigte den geschilderten Sachverhalt und sprach von „falschen Forderungen“ in der Gründungszeit. So standen ähnliche Positionen auch im ersten Grundsatzprogramm der Grünen 1980. In Nachhinein will sich Trittin aber nicht mehr erinnern können, dass die umstrittene Passage in das AGIL-Programm aufgenommen wurde. Wohl aber, wie er damals zur Straffreiheit von Sex mit Kindern gestanden habe. Er habe diese Haltung als „problematisch“ angesehen. 1989 hätten sich die Grünen davon klar distanziert. „Diese Position war falsch, ist falsch und ist zu spät korrigiert worden“, sagte der Spitzenkandidat. Es könne keine Straffreiheit für Missbrauch geben.
Faktisch spricht derzeit nichts dafür, dass Trittin eine besondere Rolle gespielt haben könnte, als es darum ging, den Pädophilen bei den Grünen besonderes Gewicht zu verleihen. Für die Partei ist die Debatte um ihren Spitzenmann dennoch ein massiver Klotz auf der Wahlkampf-Zielgeraden. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) zweifelte bereits die Gedächtnislücke an. „Als Jürgen Trittin mit falschen Bolzenschneider- und Schlagstock-Fotos von einer Göttinger Demo konfrontiert wurde, konnte er sich sofort perfekt an jedes entlastende Detail der Szene erinnern“, ätzte sie im „Tagesspiegel“. Trittin müsse seine Spitzenkandidatur ruhen lassen, legte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt nach.
Was passiert mit Trittin nach der Wahl?
So weit wird es nicht kommen. Trittin muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, zu spät zur Aufklärung beigetragen zu haben. Und das wo die Grünen den politischen Gegner gerne mit hohen moralischen Maßstäben messen. Fraglich ist, was mit dem Spitzengrünen nach der Wahl passiert. So war es vor allem Trittin, der die Partei in den vergangenen Jahren nach links geschoben und die umstrittenen Steuerpläne durchgesetzt hat. Seitdem kämpfen die Grünen gegen Vorwürfe, sie wollten den Bürgern das Geld aus der Tasche ziehen. Inzwischen erkennen immer größere Teile der Partei, dass sie mit dem Steuerthema aufs falsche Pferd gesetzt und ihre Kernthemen Energiewende und Umwelt vernachlässigt haben.
Falls die Grünen in der Opposition bleiben und ein schlechteres Ergebnis als 2009 einfahren, steht ihnen eine Strategiedebatte ins Haus. Dabei wird es um die Frage gehen, ob es richtig war, sich im Wahlkampf an die SPD zu heften. Außerdem dürfte es zu einem Generationswechsel in der Spitze kommen. Bei den Realos könnten Katrin Göring-Eckardt oder Wirtschaftsexpertin Kerstin Andreae Fraktionschefin Renate Künast ersetzen.
Falls Trittin kippt, wären Finanzexperte Gerhard Schick oder Verkehrsfachmann Toni Hofreiter vom linken Flügel mögliche Nachfolger. Derzeit ist es freilich noch nicht so weit. Aber dass Jürgen Trittin nach der Wahl Finanzminister wird, wie er es angeblich anstrebt, ist kurz vor der Wahl äußerst unwahrscheinlich.