Essen/Dortmund. .
Ist der Schwimmunterricht gemeinsam mit den männlichen Klassenkameraden für ein gläubiges muslimisches Mädchen zumutbar oder nicht? Schadet es dem Glauben, wenn sie statt eines Badeanzugs einen Burkini trägt? Mit diesen Fragen musste sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig auseinandersetzen.
Juristisch ging es dabei um die Frage, wann das Grundrecht auf persönliche Glaubensfreiheit eine Befreiung vom Schulunterricht begründen kann. In ihrem Grundsatzurteil kamen die Richter zu dem Schluss, dass der Bildungsauftrag des Staates Vorrang hat und sich nicht der Religionsfreiheit zu unterwerfen hat.
„Das Urteil ist gut“, begrüßte Ulrike Eisenberg den Richterspruch aus Leipzig. Eisenberg leitet das Heisenberg-Gymnasium in Dortmund, das viele Muslime besuchen. In den vergangenen Jahren, so die Schulleiterin, habe sich der Anteil der Muslimas erhöht, die im Burkini, der den ganzen Körper bedeckt, am gemeinsamen Schwimmunterricht mit Jungen teilnehmen. „Besser, sie nehmen im Ganzkörperanzug teil, als gar nicht.“ Mit dem Urteil komme sowohl das Recht auf Religionsfreiheit, als auch das Recht auf Wissensvermittlung des Kulturgutes Schwimmen zum Tragen.
Viele Schulen in NRW lassen Eltern inzwischen bereits beim Aufnahmegespräch eine Erklärung unterschreiben, wonach sie mit der Teilnahme ihrer Tochter am Schwimmunterricht einverstanden sind, wenn diese einen Ganzkörperanzug trägt.
Dennoch kommt es in Schulen immer wieder zu Konflikten, sagt Udo Beckmann, Bundes- und Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, dieser Zeitung. Natürlich versuchten die Schulen gerade im Ruhrgebiet, Auseinandersetzungen zwischen Schulleitung und Elternhaus zu vermeiden. So würden kurzerhand die Geschlechter getrennt, nicht nur beim Schwimm- und Sportunterricht, sondern auch bei heiklen Themen im Fach Biologie. Probleme gebe es vereinzelt bereits in der Grundschule, aber verstärkt in der Sekundarstufe I. Laut Beckmann hängt die Einstellung der Eltern stark von den Hodschas, den islamischen Religionslehrern in den Wohnvierteln, ab.
Norbert Kleine-Möllhoff, Schulleiter des Essener Unesco-Gymnasiums, fand klare Worte: „Die Glaubensfreiheit ist nicht das Obergrundrecht, dem sich alle anderen Rechtsordnungen wie die Schulpflicht unterordnen müssen.“ Im Moment gebe es an seiner Schule, die Kinder und Jugendliche aus 39 Nationen besuchen, keine Schwierigkeiten. Der Sportunterricht laufe problemlos. „Bei Wandertagen und Klassenfahrten kommt es allerdings vor, dass Eltern die Teilnahme aus so genannten religiösen Gründen verweigern.“
„Interpretierbare Rechtslage“
Trotz intensiver Gespräche mit der Schulleitung seien die Eltern nicht immer zu überzeugen – dann, so Kleine-Möllhoff, dürfe das Kind vom Ausflug beurlaubt werden. Der Schulleiter stört sich an der „interpretierbaren Rechtslage“ und wünscht sich eindeutige gesetzliche Vorgaben.
Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, setzt eher auf Gespräche zwischen Schule und Elternhaus. „Staatliche Mittel sind nicht geeignet, um derartige Konflikte zu lösen.“ Es sei zwar schlimm für ein Kind, wenn es vom Schwimmunterricht oder der Klassenfahrt ausgeschlossen werde und ihnen so Spaß mit anderen Kindern und kulturelle Teilhabe entgehe. Noch schlimmer sei es aber, es in einen Loyalitätskonflikt zu stürzen. „Ein Kind liebt doch seine Eltern“, sagt Hilgers.
Zwiespältige Gefühle
Auch bei vielen Muslimen in Deutschland löst das Urteil aus Leipzig zwiespältige Gefühle aus. Bekir Alboğa, stellvertretender DITIB- Generalsekretär, beschreibt die Zerrissenheit: „Trotz des Leipziger Urteils stellt sich für Betroffene auch die Frage, inwiefern die Nacktheit der anderen das eigene religiöse Empfingen stören kann.“ Der Islam berücksichtige diese innere Einstellung.