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Der Trend geht bei Hähnchen, Pute oder auch Schwein zum Großstall. Da leben zum Beispiel mehrere zehntausend Hähnchen ihr kurzes Leben eng nebeneinander. Vier, fünf Wochen haben sie Zeit, um zur Schlachtreife zu wachsen. Der Preis des Federviehs ist knapp kalkuliert, den „Verlust“ vieler Tiere kann sich der Bauer nicht leisten. Also gibt er Antibiotika. Gegen Krankheiten, die sich im Stall verbreitet haben. Und oft auch einfach nur zur Vorbeugung.

Das Land NRW hatte 2011 untersuchen lassen, wie oft Hühner auf diese Weise behandelt wurden. Ergebnis: Durchschnittlich zwei bis drei Mal in 32 Tagen, wobei bis zu acht Wirkstoffe zum Einsatz kamen. „Die industrielle Produktion von großen Mengen preisgünstigen Fleisches braucht zwingend den Einsatz von Antibiotika. Nur so kann man Masseninfektionen vorbeugen“, schreibt die Epidemiologin Angela Spelsberg in einem Gutachten. Die Leiterin des Tumorzentrums Aachen hatte im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion die Folgen dieses Antibiotika-Einsatzes analysiert. Sie sieht darin „erhebliche Risiken für Mensch und Tier“.

Da hilft keine Medizin mehr

Viele Menschen nehmen die resistenten Krankheitserreger auf, wenn sie rohes Fleisch wie Mett oder Tartar essen. Auch wer engen Kontakt zu Tieren hat, Landwirte und Tierärzte zum Beispiel, ist gefährdet. Besonders zwei Keim-Arten gelten als problematisch: So genannte „ESBL-bildende Bakterien“ gehören dazu, aufgenommen in der Regel durch die Nahrung. Gegen sie sind viele Antibiotika wirkungslos. Die andere Art, MRSA-Keime, gibt es in den meisten großen Ställen. Wer dort arbeitet, läuft Gefahr, sich diese Erreger einzufangen.

Das Tumorzentrum Aachen will herausgefunden haben, dass bis zu 6,4 Millionen Deutsche solche problematischen Krankheitserreger in sich tragen. Solange der Mensch gesund ist, hält das Immunsystem die Keime unter Kontrolle. Gefährlich wird’s nach Ansicht der Mediziner immer dann, wenn die Abwehrkräfte schwächeln: so bei einer Lungenentzündung, Darm-Infektionen, nach Operationen oder bei einer Krebs-Chemotherapie. Dann kann es passieren, dass zur Behandlung nötige Antibiotika einfach nicht mehr richtig wirken. In manchen Schweineställen, heißt es in dem Gutachten aus Aachen, seien Keime gefunden worden, die sogar gegen Breitbandantibiotika resistent sind. Gegen sie gibt es praktisch keine Medizin mehr.

Höhn sieht „tickende Zeitbombe“

Aus grüner Sicht lässt sich die Studie als Wahlkampfinstrument nutzen. Die Warnung vor Massentierhaltung und Billig-Fleisch zieht sich durch ihre Kampagne. Die Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn spricht von einer „tickenden Zeitbombe“ für die menschliche Gesundheit. „Früher oder später knallt das richtig. Mit der Billigfleisch-Produktion und dem dafür nötigen hohen Antibiotikaeinsatz bei den Tieren schaden wir letztendlich unserer eigenen Gesundheit. Und das nicht nur ein bisschen, sondern lebensbedrohlich.“ Auf Bundesebene müsse geregelt werden, dass nur noch einzelne Tiere bei Symptomen behandelt werden dürfen und die Tierärzte an der Verschreibung von Antibiotika nicht verdienen dürfen. Der Agrar-Experte der Fraktion, Friedrich Ostendorff aus Bergkamen, sagt: „Es sterben Menschen durch eigentlich beherrschbare Infektionskrankheiten – diese Entwicklung wird sich weiter verschärfen.“

Resistente Keime entwickeln sich laut der Studie vor allem dort, wo viele große Ställe stehen. Das betrifft das Münsterland und Ostwestfalen ebenso wie weite Teile Niedersachsens.