Ludwigsburg. . 6000 Männer und Frauen in den Wachbataillonen der SS machten das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte erst möglich: Die Tötung von sechs Millionen Juden in fünf Vernichtungslagern. Sie sind der Beihilfe zum Mord schuldig. Diese Rechtsauffassung setzt sich in der deutschen Justiz durch.

6000 Männer und Frauen in den Wachbataillonen der SS haben das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte erst möglich gemacht: Die Tötung von sechs Millionen Juden in den Gaskammern der fünf Vernichtungslager Auschwitz, Treblika, Majdanek, Belcek und Sobibor. Sie sind deshalb der Beihilfe zum Mord schuldig. Diese Rechtsauffassung, bestärkt durch das Münchener Urteil gegen John Demjanjuk 2011, setzt sich in der deutschen Justiz durch.

Fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende treiben die Ermittler deshalb die bisher größte Fahndung nach den willigen KZ-Helfern voran. Von den 6000, die im Einsatz waren, leben vielleicht noch 120, mutmaßt Efraim Zuroff, der Direktor des Simon Wiesenthal Centers. Rund drei Dutzend von ihnen, die meisten in Deutschland und hier in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, müssen bald mit einem Besuch der Staatsanwälte rechnen.

„Keiner zeigte Reue“

Es werden schwierige Gespräche. Manche der Greise – der Älteste ist Jahrgang 1916 – werden sich nicht mehr erinnern können. Viele werden es nicht wollen. „Ich habe noch keinen erlebt, der Reue gezeigt hat“, umreißt der Leitende Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm seine lange Erfahrung.

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Schrimm (64) ist Chef der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, die in den 55 Jahren ihres Bestehens 7500 Vorermittlungen durchgeführt hat und heute mit vier Staatsanwälten, zwei Kriminalpolizisten und einem Dutzend Büropersonal arbeitet. Er hat den Massenmörder Schwammberger ins Gefängnis gebracht. Er hat, in Vorbereitung der jüngsten Fälle, seine Leute auch noch einmal nach Auschwitz an den Schauplatz des Holocaust geschickt.

„Sie haben festgestellt, dass in diesem Lager nichts vorgefallen sein kann, das man nicht von allen Stellen aus sehen konnte“, berichtet er. Solche Detailermittlungen dienen dazu, in möglichen Verfahren Ausreden („Ich habe nichts gewusst“) ins Leere laufen zu lassen.

Bei Hans Lipschies haben sie diese Erfahrung gemacht. Der heute 93-jährige ehemalige Aufseher in Auschwitz-Birkenau wartet bereits auf seine Anklage durch die Stuttgarter Staatsanwaltschaft. „Ich habe die ganze Zeit als Koch gearbeitet“, hat er eingewandt. Es sind die Momente, in denen der Ermittler Schrimm zynisch wird: „Ohne Köche wäre der Mord in diesen Lagern nicht möglich gewesen.“

Das doppelte Risiko

Dennoch ist das neue massive Vorgehen der deutschen Staatsgewalt, die über Jahrzehnte eher verhalten mit Nazi-Tätern umgegangen ist, nicht ohne menschliches und juristisches Risiko.

Das menschliche: Als der Dortmunder Oberstaatsanwalt Andre­as Brendel den 86-jährigen Samuel Kunze aus Bonn fast bis auf die Anklagebank gebracht hätte, verstarb der Mann kurz vor Prozesseröffnung. Auch neun der durch Schrimm ursprünglich insgesamt 50 ins Visier genommenen KZ-Wächter sind seit dem Frühjahr verschieden.

Das juristische Risiko: Wie steht der Bundesgerichtshof, die oberste Instanz, zu allem? Und vor allem zu einer offenen Rechtsfrage: Können nur die Aufseher in den Vernichtungslagern wegen der Beihilfe zum Mord zur Verantwortung gezogen werden oder auch die in den Arbeitslagern? Auschwitz, wo der größte Massenmord passierte, war beides.