Göttingen. .

Der angeklagte Arzt im Göttinger Transplantationsskandal sieht sich nicht als Täter. Er habe sich immer für seine Patienten eingesetzt und nur deren Wohl im Auge gehabt, sagte der 46-Jährige zum Prozessauftakt am Montag vor dem Landgericht Göttingen. Um Geld sei es ihm dabei nie gegangen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem früheren Leiter der Transplantationsmedizin am Uniklinikum versuchten Totschlag in elf Fällen und Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen vor.

Die Göttinger Vorgänge hatten im vergangenen Sommer bundesweit Schlagzeilen gemacht und weitere mögliche Skandale an anderen Kliniken ans Licht gebracht. Die Bereitschaft zur Organspende ließ merklich nach. Die Deutsche Stiftung Organspende berichtete von einem Rückgang um fast 20 Prozent.

Wegen Fluchtgefahr inUntersuchungshaft

Der Göttinger Mediziner soll manipulierte medizinische Daten an die zentrale Vergabestelle Eurotransplant gemeldet haben, um schneller Spenderorgane für seine Patienten zu bekommen. Dabei soll er laut Anklage in elf Fällen in Kauf genommen haben, dass andere schwer kranke Menschen kein Spenderorgan erhielten und deshalb möglicherweise starben.

In drei Fällen habe er Patienten Lebern übertragen, obwohl dies medizinisch nicht angezeigt gewesen sei. Die Patienten waren anschließend gestorben.

In einer schriftlichen Erklärung seiner Verteidiger wies der 46-Jährige alle Vorwürfe zurück. Er habe Manipulationen zur schnelleren Zuteilung von Organen weder vorgenommen noch veranlasst. Der aus Israel stammende Mediziner sitzt seit Januar wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft.

Während der Anklageverlesung schüttelte der Arzt immer wieder den Kopf. „Ich war Tag und Nacht für die Patienten bereit“, betonte er anschließend. Seine Arbeit sei eine Lebensaufgabe. Oberstaatsanwältin Hildegard Wolf hatte gefordert, ihm die Ausübung seines Berufes zu verbieten.

Die Verteidigung bezeichnete die Vorwürfe der Anklage als absurd. Es sei nachweisbar niemand zu Schaden gekommen, sagte Anwalt Steffen Stern. Es gebe auch kein nachvollziehbares Motiv für die von der Staatsanwaltschaft angeklagten Verbrechen.

Die Anwälte gingen in die Offensive und machten die Staatsanwaltschaft für den Rückgang an Organspendern in Deutschland verantwortlich. Die Behörde habe ein Zerrbild des Arztes gezeichnet und ihn fälschlich als „verantwortungslosen Halunken“ dargestellt, der sich die Taschen vollstopfe, sagte Stern.

Bei seinem Handeln sei es ihm immer nur um das Wohl seiner Patienten gegangen, sagte der angeklagte Mediziner. Finanzielle Anreize für Transplantationsmediziner halte er grundsätzlich für ethisch und moralisch schwer vertretbar. Er wies Spekulationen zurück, er habe die Zahl der Transplantationen steigern wollen, um Bonuszahlungen zu erhalten.

Einen entsprechenden Vertrag habe ihm die Göttinger Klinikleitung aufgedrängt. Danach erhielt er zusätzlich zu seinem Monatsgehalt in Höhe von 14000 Euro ab einer gewissen Anzahl von Organverpflanzungen einen Bonus von 1500 Euro pro Patient. Insgesamt habe er in mehreren Jahren zusammen Boni in Höhe von rund 100 000 Euro brutto bekommen.

Bahr: Kann heute nicht mehr passieren

Manipulationen bei Organvergabe-Daten können nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) heute nicht mehr vorkommen. Ärzte könnten nach Gesetzesverschärfungen nicht mehr allein über die Position auf der Warteliste entscheiden. Unter anderem seien ein Mehr-Augen-Prinzip und unangemeldete Prüfungen eingeführt worden.

Der Prozess in Göttingen ist das bundesweit erste Verfahren, in dem ein Arzt nach Manipulation von Patientendaten ein Tötungsdelikt vorgeworfen wird. Unregelmäßigkeiten waren auch aus Regensburg, Leipzig und München bekanntgeworden. Rechtsexperten halten es für problematisch, dass nicht klar nachgewiesen werden kann, wer die Geschädigten sind. Der Prozess dürfte deswegen sehr langwierig werden. Bislang sind bis Mai 2014 mehr als 40 Verhandlungstage angesetzt.