Washington. . Seit zwei Monaten steht die massive weltweite Datenschnüffelei der US-Geheimdienste in der Kritik. Bisher hatten sie die Rückendeckung von Barack Obama. Jetzt macht der Präsident vorsichtige Zugeständnisse, verspricht Transparenz und Grenzen für seine Agenten. Kritiker halten das für eine Show.

Der amerikanische ­Präsident Barack Obama hat sich die massive Kritik an den Über­wachungs-Programmen der US-Geheimdienste in einer ärgerlichen Zweideutigkeit zu eigen gemacht.

Es fehlt an Augenmaß, Durchschaubarkeit, doppelt wirksamem Schutz vor Missbrauch und Verständnis in der Bevölkerung für das, was die ­Sicherheits-Organe im Geheimen treiben und warum. Das sagt ­Edward Snowden. Das sagen viele Abgeordnete im Kongress. Das ­sagen weite Teile der öffentlichen und veröffentlichten Meinung in den USA und weit darüber hinaus. Aber Obama sagt das nicht.

Er gesteht den Kritikern zwar das Recht zu, sich als Patrioten fühlen zu dürfen. Aber schon mit dem nächsten Satz schiebt er jene an die Seite, die es für einen grundsätz­lichen Web-Fehler im System ­halten, wie und wo die US-Sicherheitsdienste die Völker dieser Welt ausspähen dürfen. Für den Rechtsgelehrten aus Harvard ist die Sache die: Das Medikament ist gold­richtig. Man muss nur das Klein­gedruckte im Beipackzettel patientenfreundlicher formulieren.

Der General sieht kein Problem

Dass sich immer stärker die Frage stellt, was Staat und Wirtschaft eingedenk nahezu unbegrenzter technischer Möglichkeiten noch dürfen sollen mit den Daten der Menschheit, blendet Obama aus. Ebenso die Frage, wie weit die Prävention gegen das diffuse Böse gehen darf. Das ist intellektuell unredlich.

General Keith Alexander, der Architekt des Auslandsgeheimdienstes NSA, hat die weltweite Überwachung der Kommunikation via Telefon und Internet zur Staatsdoktrin erklärt: Nur wer alles ­mitkriegt und speichert, kann im Einzelfall genauer hinsehen und einen Verdächtigen nackt unter das digitale Mikroskop legen. Solange dieses informelle Grundgesetz der Sammelwütigen in den Geheimdiensten weiter gilt, bleibt die versprochene Reform Kosmetik.

Mächtige Lobbyisten

Skepsis ist daher angebracht bei den vertrauensbildenden Maßnahmen, mit denen Obama nachträglich einholen will, was jede Sicherheitspolitik dringend benötigt: die Zustimmung derer, die geschützt werden sollen. Bürgerrechtler am Katzentisch jener Geheimgerichte, die ­ohne anwaltliche Einspruchsrechte über die Verfolgung eines Verdäch­tigen entscheiden dürfen, und hochkarätig besetzte Berater-Gremien sind schon heute enttarnt – als ­Beruhigungspillen.

Anzukündigen, mit dem Parlament für mehr unabhängige Kontrolle der Überwachung sorgen zu wollen, ist zudem wohlfeil. Der „tiefe Staat“, wie er sich in rivalisierenden Behörden und einem Moloch von privaten Firmen manifestiert, wird ähnlich wie die National Rifle Association in der längst abgeflauten Debatte um schärfere Waffen­gesetze Mittel und Wege für Widerstand und Sabotage finden.

Lobbyisten der gefräßigen Sicherheits-Industrie, die zur Bekämpfung der Terror-Angst mit millionenschweren öffentlichen Aufträgen ausgestattet wurde und wird, warten nur darauf, den Abgeordneten im Kongress einen Besuch abzustatten.

Ideeller Strafnachlass würde Größe belegen

Bei alledem stimmt besonders bedenklich, dass sich Obama einem zentralen Kausalzusammenhang verweigert, der auf der Hand liegt. Ohne Edward Snowdens im Rückblick immer bedeutsamer werdende Tat gäbe es in den USA und andernorts keine Debatte über die Angemessenheit und Verfassungsmäßigkeit der geheimdienstlichen Sammelorgien.

Ohne Snowden wüssten auch in Deutschland viele Menschen nicht, was die Supermacht USA hinter ihrem Rücken treibt – mit dem Zulieferbetrieb Bundesnachrichtendienst im Schlepptau.

Das zu würdigen und Snowden einen ideellen Strafnachlass in einem Prozess in Aussicht zu stellen, hätte Obama aus dem Gezeter der Ebene herausragen lassen.

Durch Snowden könnte Amerika seine aus dem Trauma vom 11. September 2001 geborenen Praktiken zurückstutzen. Das wäre ein wahrhafter patriotischer Akt.