Washington. .

Wenn einer keine Reise tut, dann kann er trotzdem was erzählen. Jedenfalls ein bisschen. Nachdem US-Präsident Barack Obama seinem russischen Gegenpart Wladimir Putin wegen dessen Gastfreundschaft für den Geheimnis-Enthüller Edward Snowden spektakulär einen Korb gegeben hat, standen Fragen nach der Zukunft des Verhältnisses zwischen Russland und den USA natürlich im Vordergrund der ersten Pressekonferenz Obamas im Weißen Haus seit drei Monaten. Dachten viele. Irrtum. Die neue Krankenversicherung Obamacare, die Frage, wer womöglich demnächst Ben Bernanke an der Spitze der Notenbank folgt, das ewige Thema Einwanderungs-Reform, die Terror-Gefahr in Afrika und auf der Arabischen Halbinsel und der Skandal um die massenhafte Überwachung durch die US-Geheimdienste bewegten viele Reporter entschieden mehr.

Unmittelbar vor Urlaubsantritt hatte der Gastgeber für die diplomatische Zuspitzung der vergangenen Tagen mit Moskau nur wenige wohl temperierte Sätze über. Unter Putins Vorgänger Medwedew habe es einigen „Fortschritt“ gegeben, sagte Obama und nannte Gemeinsamkeiten bei den Sanktionen gegen den Iran, in der Afghanistan-Politik und bei den Abkommen zur Verringerung der Zahl von Atomwaffen.

Mit Putins Rückkehr an die Spitze des Staates sei anti-amerikanische Rhetorik aus Zeiten des Kalten Krieges wieder hoffähig geworden. „Ich habe den Präsident ermutigt, das Alte hinter sich zu lassen und vorwärts zu denken“, bilanzierte Obama seine Bemühungen - „mit gemischtem Erfolg“. Nach der Causa Snowden, dessen Auslieferung Obama nach wie vor fordert, sei es nun an der Zeit neu einzuschätzen, „wohin sich Russland entwickelt“. Obama sprach gesondert die sich dort häufenden Übergriffe gegen Homosexuelle an. Forderungen, wie sie zuletzt im Kongress laut wurden, diesen Menschenrechtsverletzungen mit einem Boykott der Olympischen Winterspiele Anfang 2014 in Sotschi zu begegnen, erteilte Obama eine Absage. Das sei „nicht angemessen“. Viele amerikanische Sportler hätten für dieses Ereignis „lange trainiert“. Obama wünschte sich ausdrücklich, dass lesbische und schwule Sportler in Sotschi Medaillen erringen mögen. Das, so sein Tenor, sei die beste Botschaft für die Regierung Putin, die Homosexuelle massiv behindere.

Kein Öl insFeuer gießen

Abgesehen davon bemühte sich Obama, kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Von Eiszeit oder gar Kaltem Krieg 2.0, wie vielerorts befürchtet, war schon vorher eine Etage tiefer nicht viel zu spüren. Die Außen- und Verteidigungsminister der beiden Supermächte berieten am Freitag in Washington, wie zuletzt oft in der Sache ohne Fortschritt, über die bekannten Dauerstreitthemen: von Syrien über die Raketenabwehr der Nato in Ost-Europa bis zu den iranischen und nordkoreanischen Atomprogrammen. Die Gespräche, hieß es später zurückhaltend, seien in „professioneller Atmosphäre“ verlaufen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte den Ton vorgegeben. Die beide Großmächte müssten auch in spannungsgeladenen Zeiten „wie Erwachsene miteinander arbeiten“, sagte er.

Den größten Raum in der einstündigen Frage-Antwort-Runde, bei der Obama die Journalisten handverlesen ans Mikrofon bat, nahm das durch Edward Snowdens Enthüllungen ausgelöste Thema Überwachung durch die Geheimdienste ein. Obama ließ keinen Zweifel, dass ihn der national und weltweit wachsende Unmut nachdenklich gestimmt hat. Die General-Inventur der kompletten Überwachungs-Architektur, die er anordnete, wurde später von Experten als „überraschend weitgehend“ bezeichnet. Mehrfach betonte Obama, dass die Kritiker im Recht seien, wenn „sie kritische Fragen stellen“. Das Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Privatsphäre des Einzelnen und der Notwendigkeit von innerer Sicherheit müsse „neu austariert“ werden. Als Obama indirekt danach gefragt wurde, ob dies nicht ein Verdienst Snowdens sei, kam der Präsident für einen Moment ins Schleudern. „Ich denke nicht, dass Mr. Snowden ein Patriot ist“, sagte er, denn der ehemalige NSA-Mitarbeiter habe mit seinen Enthüllungen Amerika in Gefahr gebracht. Aber: Nun müssten sich Regierung und Kongress mit der massiven Kritik an den Überwachungsprogrammen beschäftigen. Diese Diskussion habe zweifelsohne Snowden ausgelöst. Obama forderte den Computer-Fachmann erneut auf, sich der amerikanischen Justiz zu stellen.