Warstein. .

Der Fall des Psychiatriepatienten Gustl Mollath hat bei vielen Menschen eine Schreckensvorstellung wieder hervorgebracht: Man ist gegen seinen Willen in der Psychiatrie eingesperrt und hat keine Chance, jemals wieder herauszukommen. Für Dr. Josef J. Leßmann, Ärztlicher Direktor der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt, ist eine solche Sorge völlig unbegründet.

Muss ein gesunder Mensch befürchten, in eine psychiatrische Klinik zwangseingewiesen zu werden?

Die Psychiatrie ist keine Zwangsvollstreckungsanstalt. In der LWL-Klinik Warstein haben wir pro Jahr etwa 4000 Aufnahmen, zwangsuntergebracht sind nur um die 8,5 Prozent. In der Psychiatrie werden wie in einer Akut-Klinik Krankheitsbilder behandelt, und die Patienten werden nach 25 bis 28 Tagen mit verbessertem Zustand oder geheilt wieder entlassen. Die Patienten können völlig frei auswählen, welche Klinik sie aufsuchen.

Woher rühren die unbegründeten Ängste, gegen seinen Willen in einer Psychiatrie „festgehalten“ zu werden?

Der Volksmund hat über Jahrzehnte im regionalen Dunstkreis von psychiatrischen Kliniken nicht gerade pädagogisch wertvoll Drohungen ausgesprochen, zum Beispiel: „Wenn Du so weiter machst, kommst Du nach Warstein. Oder nach Marsberg.“ Die Wirklichkeit aber ist: Die wenigsten Patienten in akut-psychiatrischen Kliniken sind in geschlossenen Abteilungen untergebracht. In Warstein gibt es ganze zwei geschlossene Stationen. Dort halten sich Patienten, die akut erkrankt sind und sich in einem krisenhaften Zustand befinden, in der Regel nur ein paar Tage auf. Anschließend kommen sie in offene Stationen.

Wie schiebt der Gesetzgeber der Willkür einen Riegel vor?

Mit einem festen, gesetzlich überwachten Regelwerk für die Unterbringung in psychiatrischen und forensischen Krankenhäusern. Nehmen wir das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) in NRW. Die Unterbringung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung ist nur zulässig, wenn durch ein krankheitsbedingtes Verhalten akut eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung besteht. Eine weitere Rechtsgrundlage ist die Unterbringung im Maßregelvollzug (forensische Psychiatrie) - wenn Menschen aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung erheblich und wiederholt straffällig geworden sind. In allen Fällen prüft ein Gericht, ob eine Unterbringung notwendig ist. Und dazu holt sich das Gericht immer eine fachärztliche Meinung ein. Es gibt keine Willkür!

Der Stammtisch debattiert gerne über Gutachten nach Aktenlage. Was ist da dran?

Da muss ich heftig widersprechen. Es kommt äußerst selten vor (in Warstein hatte ich im vergangenen Jahr einen Fall), dass ein Proband (Patient, der begutachtet wird) es ablehnt, mit dem Sachverständigen zu sprechen. Ein Gutachten ist wissenschaftlich fundiert, und ein Gutachter versucht, sich einen umfassenden Überblick zu verschaffen. Zum Beispiel bei einem Gutachten über einen Straftäter werden berücksichtigt: Vorgeschichte, Krankheitsverlauf, begangene Straftaten, Hinweise von Menschen, die mit der Person zu tun hatten, Entlassungsberichte von Kliniken, Drogen-Screenings, usw. In den Gesprächen mit den Probanden werden bezüglich des Psychischen Befundes neun Kriterien (z.B. Orientierung und Stimmungslage und vieles mehr) dezidiert betrachtet. Eine standardisierte Hinterfragung findet auch in psychologischen Tests statt. Selbstverständlich wird auch der Strafvorwurf thematisiert. Wenn dann auch noch ein Abgleich mit der Fachliteratur gemacht und die Akte gelesen wurde, können die Steuerungsfähigkeit und letztlich die Schuldfähigkeit beurteilt werden.

Wie wird die Situation des Patienten während der Unterbringung hinterfragt?

Die Strafvollstreckungskammern bei den Landgerichten fordern regelmäßig von den Kliniken Führungsberichte an. Also: Wie ist der Therapiefortschritt des Patienten? Allerspätestens nach drei Jahren muss zusätzlich ein externer Sachverständiger ein neues psychiatrisches Gutachten erstellen.

Können trotz vorhandener ­wissenschaftlicher Standards verschiedene Gutachter bei ein und derselben Person zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen?

Je intensiver hineingeguckt wird, je mehr Ebenen betrachtet werden, desto treffsicherer ist am Ende die Diagnose. Wir Gutachter haben nicht nur gegenüber dem ­Probanden eine Sorgfaltspflicht, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit und dem Gericht.