Essen. Seit Beginn der siebziger Jahre sollen Sportler in der Bundesrepublik systematisch und organisiert gedopt haben. „Ich will nur eines: Medaillen“, soll ein Minister gefordert haben. Ging der Einfluss des Staates so weit wie in der DDR? Wissenschaftler in Berlin liefern jetzt erschütternde Belege.

Gab es nicht nur in der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik organisiertes Doping mit Hilfe von staatlichen Stellen? Die Süddeutsche Zeitung sieht dafür mit Verweis auf die noch unveröffentlichte Studie „Doping in Deutschland“ neue Anzeichen. Wir listen die Hauptpunkte der neuerlichen Doping-Diskussion auf.

Wer hat die Doping-Studie in Auftrag gegeben, wer hat sie verfasst?

Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), das dem Bundesinnenministerium untersteht, hatte die Studie 2008 gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) in Auftrag gegeben. Erstellt wurde sie von den beiden Forschergruppen um Prof. Giselher Spitzer von der Berliner Humboldt-Universität und um Prof. Michael Krüger von der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Für das Projekt wurden 550.000 Euro zur Verfügung gestellt. Die Wissenschaftler haben drei Jahre lang die Archive gesichtet und 50 Zeitzeugen befragt.

Warum wurde die Studie noch nicht veröffentlicht?

Während die Berliner Forschergruppe die Namen der belasteten Personen nennen wollte, verhinderte das BISP bisher eine Veröffentlichung aus Gründen des Datenschutzes. Laut Ministerium sind die Datenschutz-Bedenken gegen die Freigabe inzwischen ausgeräumt worden, „so dass einer Veröffentlichung insoweit nichts mehr im Weg steht“.

Gab es nicht nur in der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik systematisches Doping?

In der DDR gab es gemäß Staatsplanthema 14.25 systematisches Doping im Spitzensport. Die Berliner Forschergruppe zeigt laut Süddeutscher Zeitung, der nach eigenen Angaben eine Version der 800 Seiten umfassenden Studie aus dem vergangenen Jahr vorliegt, dass „im westdeutschen Sport in einem erschreckenden Umfang und mit einer kaum glaublichen Systematik gedopt“ worden sei.

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Die brisantesten Vorwürfe?

Das 1970 gegründete BISp hat mehrfach Forschungen in Auftrag gegeben, um die Unwirksamkeit von bestimmten Präparaten zu beweisen. Sobald sich allerdings herauskristallisierte, dass der Wirkstoff Sportlern Vorteile brachte, kam er zum Einsatz. Selbst gesundheitliche Nebenwirkungen wie erhöhtes Krebsrisiko, Impotenz oder Leberschäden sollen verheimlicht worden sein. Anabolika sollen in mehreren Fällen auch Minderjährigen zwischen 11 und 17 Jahren verabreicht worden sein.

Welche Rolle spielten deutsche Politiker und Funktionäre?

Laut SZ steht in der Studie, dass es 1972 kurz vor Beginn der Olympischen Spiele in München zu folgendem Dialog zwischen einem Bundesminister und einem BISp-Funktionär gekommen sei: „Von Ihnen als Sportmediziner will ich nur eines: Medaillen in München.“ „Herr Minister. Ein Jahr vorher? Wie sollen wir da noch an Medaillen kommen?“ „Das ist mir egal.“ Der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher hat sich gegen die Vorwürfe gewehrt: „Ich wüsste nicht, wer einen solchen Druck ausgeübt haben sollte. Ich halte das für völlig ausgeschlossen.“

Waren denn schon vor der Studie Doping-Fälle in der Bundesrepublik bekannt?

Natürlich sind auch in der Bundesrepublik viele Sportler des Dopings überführt worden. Die größten Schlagzeilen machte der Tod von Birgit Dressel am 10. April 1987. Die Siebenkämpferin, die seit 1981 Patientin des Freiburger Sportmediziners Prof. Armin Klümper war, soll in den letzten 16 Monaten ihres Lebens 400 Spritzen erhalten haben. Dressel soll zuletzt 20 verschiedene Präparate eingenommen haben. Die Freiburger Ärzte Klümper und Prof. Joseph Keul werden in der Studie belastet, Doping in Deutschland aktiv gefördert zu haben.